Anschlag in Suruc: Verdächtiger identifiziert

Polizei fahndet nach Anschlag in türkischer Grenzstadt nach mutmaßlichen IS-Frauen.

Nach dem Selbstmordanschlag im türkischen Suruc nahe der Grenze zu Syrien hat die Polizei einen Verdächtigen identifiziert. Das teilte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Dienstag bei einem Besuch am Anschlagsort mit. Genauere Angaben gäbe es noch nicht, mögliche Verbindungen des Verdächtigen ins Ausland oder in der Türkei würden noch geprüft.

IS-Frauen verdächtigt

Davutoglu nannte erneut die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) als "wahrscheinlicher Drahtzieher" des Anschlags. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre es der erste IS-Anschlag in der Türkei. Noch hat sich niemand offiziell zu der Tat bekannt. Wie Spiegel Online unter Berufung auf türkische Medien berichtet, soll der verheerende Selbstmordanschlag nach ersten Erkenntnissen aber von einer Frau verübt worden sein. Sie soll zu einer Gruppe von drei IS-Aktivistinnen gehören, vor der bereits seit Juni gewarnt wurde.

32 Opfer

Bei dem Anschlag waren am Montag 32 Menschen getötet worden. Die Zahl der Opfer wurde noch einmal nach oben korrigiert, in der Nacht auf Dienstag starb noch ein Schwerverletzter. Nach Angaben des örtlichen Gouverneurs Abdullah Ciftici schwebten am Montagabend noch etwa 20 der rund hundert Verletzten in Lebensgefahr. Zu dem Anti-IS-Treffen, auf das der Anschlag verübt wurde, hatten sich in Suruc rund 300 linksgerichtete und prokurdische Teilnehmer versammelt, die meisten von ihnen Studenten. Sie hatten vor, den Wiederaufbau der syrischen Grenzstadt Kobane voranzutreiben, die durch wiederholte IS-Attacken weitgehend zerstört wurde.

In Suruc befindet sich zudem eines der größten Flüchtlingslager für Syrer, die vor den Kämpfen in ihrem Land flohen. In dem im Jänner eröffneten Camp leben rund 35.000 Flüchtlinge. Insgesamt flohen seit dem Beginn des Bürgerkriegs vor vier Jahren 1,8 Millionen Menschen aus Syrien in die Türkei. Die beiden Länder haben eine 911 Kilometer lange gemeinsame Grenze.

Eskalation nach Anschlag

Noch am Montagabend gingen im Zentrum Istanbuls mehrere Tausend Menschen aus Protest gegen den Anschlag auf die Straße - aber auch gegen die Syrien- und Kurdenpolitik der AKP-Regierung. Die Polizei ging teilweise mit Tränengas gegen die Demonstranten vor (mehr dazu hier).

Die überwiegend von Kurden bewohnte Stadt Kobane war im vergangenen Jahr monatelang Schauplatz heftiger Kämpfe, nachdem der IS dort eingerückt war. Im Januar zwangen kurdische Kämpfer mit Unterstützung von US-geführten Luftangriffen die IS-Kämpfer zum Rückzug. Ende Juni startete der IS eine neue Offensive, wurde aber nach nur zwei Tagen wieder aus der Grenzstadt vertrieben.

Weiterführende Artikel

Der schwere Selbstmordanschlag im türkischen Suruc hat einmal mehr das Augenmerk auf die Auswirkungen des Bürgerkriegs in Syrien auf die Türkei gelenkt. Einerseits muss die Türkei inzwischen rund 1,8 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland beherbergen, zudem bekommt sie immer direkter die Folgen des Erstarkens der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) zu spüren. Die dramatischsten Entwicklungen an der mehr als 900 Kilometer langen gemeinsamen Grenze seit September 2014:

- 16. September 2014 - IS-Kämpfer greifen Kobane an
Im September 2014 greifen IS-Kämpfer die syrische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei an. Die Jihadisten dringen am 6. Oktober in die Stadt ein. Türkische Kurden demonstrieren für eine Intervention und verlangen, dass türkische Kurden gegen den IS in den Kampf ziehen dürfen. Unter internationalem Druck gestattet die türkische Regierung Ende Oktober, dass 150 irakisch-kurdische Peshmerga-Kämpfer nach Kobane vorrücken. Ende Jänner 2015 wird Kobane von syrischen Kurden zurückerobert, die von Luftangriffen einer internationalen Koalition unterstützt wurden.

- 13. Februar 2014 - Explosion in Suruc
Bei einer schweren Explosion an einer Polizeiabsperrung in der Grenzstadt werden drei Menschen verletzt, darunter ein Polizist.

- 22. Februar 2015 - Türkische Militäraktion am Grabmal von Suleiman Shah
Rund 600 türkische Elitesoldaten evakuieren einen Grabkomplex in einer türkischen Exklave in Syrien, der in einem vom IS kontrollierten Gebiet entfernt liegt. Die nächtliche Kommandoaktion knapp 40 Kilometer jenseits der Grenze gilt dem Grabmal von Suleiman Shah, dem Großvater von Osman I., Begründer des Osmanischen Reiches. Die Grabstätte wird in das syrische Grenzdorf Eshme verlagert. Die syrische Regierung spricht von einer "Aggression" der Türkei.

- 16. Mai 2015 - Syrischer Hubschrauber abgeschossen
Die türkische Luftwaffe schießt einen syrischen Hubschrauber ab, da dieser in den Luftraum über dem Süden der Türkei eingedrungen sei.

11. Juni - Starker Andrang von syrischen Flüchtlingen
Wegen der heftigen Kämpfe zwischen kurdischen Einheiten und dem IS in der Umgebung der nordsyrischen Stadt Tal Abjad gibt es einen starken Andrang von Flüchtlingen Richtung Türkei. Zeitweise wird die Grenze abgeriegelt. Innerhalb einer Woche kommen rund 20.000 Syrer in die Türkei, die ohnehin seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien die größte Zahl syrischer Flüchtlinge aufgenommen hat - inzwischen mehr als 1,8 Millionen.

- 15. Juni - Kurden nehmen Tal Abjad ein
Die syrischen Kurden nehmen Tal Abjad ein. Sie unterbrechen damit eine wichtige Versorgungsverbindung zur IS-Hochburg Raqqa.

- 7. Juli - Gerüchte um geplante türkische Intervention in Syrien
Da die Türkei an der Grenze zu Syrien Panzer, Boden-Luft-Raketen und Truppeneinheiten stationiert, entstehen Gerüchte um eine bevorstehende Intervention in Syrien. Der US-Sonderbeauftragte für den Anti-IS-Kampf, John Allen, besucht Ankara. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärt, eine Intervention stehe nicht bevor. Ankara werde aber regieren, wenn seine Sicherheit bedroht sei.

- 12. Juli - Festnahme von IS-Sympathisanten
Türkische Sicherheitskräfte nehmen bei einer Razzia in Gaziantep 45 Ausländer fest, die im Verdacht stehen, für den IS kämpfen zu wollen.

- 20. Juli - Selbstmordanschläge in Suruc und Kobane
Nahezu zeitgleich werden im türkischen Suruc und im syrischen Kobane Selbstmordanschläge verübt. Zu dem Anti-IS-Treffen, gegen das sich der Anschlag in Suruc richtet, hatten sich rund 300 linksgerichtete und prokurdische Teilnehmer versammelt, die meisten von ihnen Studenten.

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