"GESUCHT: Ahmad Khan Rahami, 28-jähriger Mann"
Täglich vibrieren Millionen Smartphones in New York. Was sich aber am vergangenen Montag in der Metropole abspielte, war trotzdem ungewöhnlich. Kurz vor acht Uhr meldeten sich fast alle Smartphones zur selben Zeit mit demselben Ton: ein schrilles Pfeifen, ganz anders als die üblichen Klingeltöne.
Als Millionen New Yorker ihre Smartphones zückten, sahen sie einen digitalen Steckbrief mit folgender Nachricht: "GESUCHT: Ahmad Khan Rahami, 28-jähriger Mann, Fotos entnehmen Sie den Medien, rufen Sie 9-1-1 an, wenn Sie ihn sehen." Die New Yorker Polizei schickte um 7 Uhr 56 Ortszeit - nachdem sie die lokalen Behörden darum gebeten hat - einen sogenannten Wireless Emergency Alert aus - kurz WEA.
Für gewöhnlich werden WEAs in den USA dafür eingesetzt, um die Bevölkerung vor Chaos und möglichen Gefahrszenarien zu warnen. Ein etabliertes System, das als Zusatz zu Fernsehen und Radio dient, Menschen zu informieren - zum Beispiel nach dem Attentat beim Marathon in Boston 2013, als die Verdächtigen noch auf der Flucht waren, oder während des Hurrikans Sandy 2012; damals kündigte die Stadt New York die Evakuierung eben mittels WEA an.
Doch in beiden Fällen vermittelte die Nachricht, Schutz zu suchen oder den Informationen zu folgen. Der Fahndungs-Alarm am Montag hingegen war neu. Es war das erste Mal, dass ein Verdächtiger auf diese Art gesucht wird. Der US-Amerikaner afghanischer Herkunft Rahami soll laut US-Polizei für den Bombenanschlag am vergangenen Samstagabend mit 29 Verletzten verantwortlich sein. Zudem soll er weitere Sprengsätze in New Jersey deponiert haben. Nach der Pushnachricht wusste ganz New York, wer zu suchen war.
Kritik an der Ungenauigkeit
Doch nicht allen gefällt die Omnipräsenz der Strafverfolgung, kritische Stimmen werden laut. Die New York Times spricht von einem Versuch, die Bürger zu einem allgegenwärtigen Auge für die Autoritäten zu erziehen. "Wenn ihr was seht, sagt es uns" – auch wenn dabei unschuldige Menschen zu Schaden kommen.
Brian Feldman, Journalist beim New York Magazine, kritisiert die Ungenauigkeit der Nachricht: "See media for pics" sei lediglich ein gestelzter Euphemismus für "Ach, googeln sie einfach." Damit würden die Empfänger ermutigt, jeden der aussehe, als ob er Ahmad Khan Rahami heißen könne, mit Misstrauen zu begegnen. In einem Land, in dem selbst Menschen beleidigt und angegriffen würden, sei das "bemerkenswert unklug".
Gegenüber der New York Times äußerte auch eine Geografielehrerin Bedenken. "Was wäre passiert, wenn jemand eine falsche Person als Rahami identifiziert hätte?" Diese Befürchtung hatte offenbar Suhja Haider. Als der US-Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln sein Zuhause in Brooklyn verließ und den digitalen Steckbrief auf seinem Smartphone sah, machte er sich Sorgen. Nicht aber, weil er dem mutmaßlichen Täter begegnen könnte, sondern weil er befürchtete, eine äußere Ähnlichkeit mit Rahami zu haben. "Heutzutage haben Dunkelhäutige wie ich genauso viel Angst vor Terrorismus wie alle anderen", erzählte Haider.
Präsident hat noch keine WEA ausgesendet
Seit dem Start des Programms 2012 dürfen rund 1.200 Behörden WEAs aussenden - dazu gehören sowohl Bezirks-Sherrifs, öffentliche Sicherheitseinrichtungen als auch Stadt- und Bundesstaatsregierungen, Militär, Polizei und Feuerwehren. FEMA, jene Organisation, die für das US-Alarmsystem zuständig ist, prüfe zwar die Behörden, nicht aber die individuellen Pushnachrichten, schreibt das Nachrichtenportal NPR. In diesem Jahr seien bereits so viel WEAs ausgesendet worden wie in den vergangenen drei Jahren zusammen.
Es gibt drei Arten von WEAs: Die sogenannten Amber-Alerts, wenn Kinder entführt werden; unmittelbare Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit, häufig schwere Unwetter oder andere Naturkatastrophen; außerdem kann der Präsident den US-Amerikanern im Fall der Fälle eine Push-Nachricht schicken und vor landesweiten Notfällen warnen – das ist bislang noch nie geschehen. Die ersten beiden Benachrichtigungen können Smartphone-Besitzer manuell deaktivieren, nur die Botschaften aus dem Weißen Haus werden zwangsweise allen Menschen in Reichweite eines Mobilfunkmasts zugestellt.
Die WEAs haben neben inhaltlicher Bedenken auch technische Mängel. So bestehen Nachrichten höchstens aus 90 Zeichen, Videos und Bilder können nicht versendet werden. Das war auch der Grund, warum der Fahndungsalarm in New York nur Hinweise auf das Alter und den Namen des Verdächtigen zuließ. Das soll sich in Zukunft allerdings ändern. US-Behörden würden bereits daran arbeiten, die formalen Einschränkungen aufzuheben. Die Zeichenanzahl soll laut NPR erweitert und die Verwendung von visuellen Darstellungen ermöglicht werden.
"Keine Wanted-Poster mehr"
"Dieses Werkzeug werden wir auch weiterhin benutzen", sagte der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio der Kritik zum Trotz. Die WEA in Form eines Steckbriefs habe viel dazu beigetragen, den Verdächtigen Rahami festzunehmen. De Blasio verteidigte die Maßnahme: "Keine Wanted-Poster mehr auf Hauswänden. Das ist ein moderner Ansatz, der die gesamte Bevölkerung miteinbezieht."
In einer Studie, die im Journal of Contingencies and Crisis Management, veröffentlicht wurde, fanden Forscher hingegen heraus, dass die Empfänger Kurznachrichten nervend und irritierend finden. Brook Liu, eine der Studienautoren, sagte dem Portal fivethirtyeight, dass Menschen die Informationen oft ignorieren würden, da mittlerweile die Zahl der WEAs exorbitant hoch sei. Der Schlüssel zum Erfolg sei deshalb, Pushmitteilungen angemessen und der Situation entsprechend anzuwenden.
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