Ankick im Slum für bessere Zukunft

Kenias Nationaltrainer mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl u. Außenminister Sebastian Kurz .
150 Euro im Jahr kostet es, damit ein Jugendlicher keinen Grund mehr hat, sich nach Europa aufzumachen.

Im weißen Mercedes der Security-Leute, die Sebastian Kurz bei seinem 48-stündigen Aufenthalt in Johannesburg und Pretoria (Südafrika) begleiten, kommt Nervosität auf. Der 30-jährige Außenminister will nach Abschluss des offiziellen Programms um 10 Uhr abends noch eine Prise südafrikanisches Nachtleben schnuppern. Die "Blue Moon Bar" in der City von Pretoria ist ihm von Auskennern empfohlen worden. Auch Einheimische meiden die Gegend nach Einbruch der Dunkelheit, Touristen – so der Ratschlag aller Reiseleiter – sollten erst gar nicht daran denken, sich dort abends umzutun.

Kurz in Karaoke-BarUnmittelbar vor dem Eingang des Nachtschuppens schnell raus aus den Delegationsfahrzeugen und schnell rein in eine Art Karaoke-Bar, in der, wenn sich gerade keiner ans Mikrofon wagt, Hip-Hop und House geboten wird. In dem mitten unter der Woche gut besuchten Nachtlokal sind ein Dutzend Österreicher im Gefolge von Kurz die einzigen Weißen. Aber keine Spur von Begafftwerden oder spürbarem "Was wollen die denn da?". Da ein ausgelassenes Zuprosten, dort ein neugieriges Lächeln, mehr als Wortfetzen sind bei dem Schallpegel nicht möglich. Szenen am Rande einer viertägigen Blitzvisite von Sebastian Kurz und einer Wirtschaftsdelegation unter Führung von Kammerchef Christoph Leitl.

Am Tag danach: Weiterflug nach Kenia, der erste Termin ist unmittelbar nach Verlassen des Flughafens von Nairobi – Lokalaugenschein bei einem Vorzeigeprojekt einer oberösterreichischen Privatinitiative in Korogocho, dem viertgrößten und berüchtigtsten Slum von Nairobi.

Nicht nur bei den Afrika-Neulingen in der Österreich-Delegation kommt Unruhe auf, als auf dem Weg dorthin plötzlich alles steht. Auf der Piste geht in beide Richtungen nichts mehr. Die zwei Fahrstreifen machen nur einen Bruchteil der Lehmfahrbahn aus. Der große Rest der Fahrbahn gehört Kolonnen von Fußgängern, die hier am späten Nachmittag in beide Richtungen unterwegs sind.

Immer mehr machen vor der Fahrzeugkolonne halt. Kinder winken neugierig. Zunehmend mehr Männer reden lautstark gestikulierend auf den Busfahrer ein, der versucht, einen Schleichweg zu finden. Der ORF-Kameramann will die Tür öffnen und die Wartezeit nutzen, um ein paar Außenaufnahmen zu drehen. Der Busfahrer rät ihm eindringlich davon ab. Die Fahrzeit war mit einer halben Stunde veranschlagt, es werden mehr als zwei Stunden.

"Ins richtige Afrika"

Der Wirtschaftsdelegierte in Johannesburg hat die Reisegruppe mit den Worten verabschiedet: "Jetzt fahren Sie ins richtige Afrika." In Südafrika ist 22 Jahre nach Abschaffung der Apartheid weniger weitergegangen, als sich viele erträumt haben. Sie hat oft nur ein anderes Gesicht: Die fast neunzigprozentige schwarze Mehrheit des Landes verdient pro Kopf 4000 Euro im Jahr, so die letzten verfügbaren Zahlen, die weiße Minderheit im Durchschnitt das Sechsfache.

Das Land am Kap mutet für viele Afrikaner aber vergleichsweise paradiesisch an und bleibt ein begehrtes Ziel für Binnenflüchtlinge aus den Nachbarländern.

In den Townships von Johannesburg sind TV-Antennen auf den Wellblechhütten keine Seltenheit. Im kenianischen Slum von Korogocho ist davon nichts auszumachen. Mehr als die Hälfte der drei Millionen Einwohner von Nairobi lebt in Slums. Die 300.000 Menschen in Korogocho haben im Schnitt 40 Cent pro Kopf und Tag zum Leben zur Verfügung. Ab 13 prostituieren sich Mädchen für 30 Cent, damit sich die Familie die 7 Euro Miete für eine Blechhütte leisten kann. Gleich nebenan ist eine der größten Mülldeponien der Welt. Auf der 100 ha großen und teils hochgiftigen Müllhalde suchen Tausende Menschen täglich nach verwertbaren Resten. Als die österreichische Delegation hier am Ziel eintrifft, setzt bereits die Dämmerung ein. Alle haben die Faustregel im Kopf: Slums wie diese sollten weiße Ausländer auch bei Tag meiden, nach Einbruch der Dunkelheit sind sie absolute No-Go-Areas.

Hinter einem von lokalen Securitys bewachten Eisentor tut sich in der Barackensiedlung ohne Licht- und Wasserleitungen eine Enklave auf: Die Fußballakademie "Acakoro". Hier werden an die 100 Buben fünf Mal die Woche von zehn Profis trainiert. Gegründet hat sie die Fußballer-Legende Helmut Köglberger, geführt wird sie heute von seinem Sohn Stefan. Zu dem Projekt gehören auch zwei Grundschulen, eine weiterführende Schule und seit Kurzem auch eine Bäckerei, in der fünfzehn Lehrlinge von einem österreichischen Bäckermeister ausgebildet werden – kein reines Sozial-, sondern ein unternehmerisches Start-up-Projekt. Die Firma Backaldrin, bekannt für die Erfindung des Kornspitzes, hat 150.000 Euro in den Start der "African Angel Bakery" gesteckt. Die Backwaren werden in 30 kleinen Shops in den Slums erfolgreich verkauft; im zweiten Jahr ist das Unternehmen knapp davor, alle Kosten selbst hereinzuspielen.

Chance auf Bildung

Schulen und Fußballakademie werden durch private Gönner und Diakonie finanziert. Tausend Kinder haben hier die Chance auf eine Schulbildung und so dem Kreislauf aus Armut, Gewalt und Kriminalität zu entkommen. Vierhunderttausend Euro kosten der Erhalt der Schulen und der Fußballakademie pro Jahr. "Das sind 150 Euro pro Jahr für einen Menschen mehr, der keinen Grund mehr hat, von hier wegzugehen", rechnet Otto Hirsch, Initiator des Projekts, vor: "Ein unbegleiteter jugendlicher Flüchtling kostet den österreichischen Staat 35.000 Euro pro Jahr." Nachdenklicher Nachsatz: "Wenn er es überhaupt lebend zu uns schafft."

Otto Hirsch hat ein florierendes Innenausstattungsunternehmen mit mehr als 400 Mitarbeitern in Oberösterreich. Er engagiert sich seit Jahrzehnten für Sozialprojekte, erst in Rumänien, jetzt in Kenia: "Ich lebe gut und will davon etwas zurückgeben."

Der Oberösterreicher Christoph Leitl ist stolz darauf, was Landsleute hier federführend auf die Beine gestellt haben. Sebastian Kurz resümiert bewegt: "Slums habe ich schon viele gesehen, aber ein derartiges Projekt noch nie. Das ist echt heftig."

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