Ankara stellt der EU die Rute ins Fenster

Im April kamen nur noch 130 Flüchtlinge pro Tag von der Türkei nach Griechenland
Ohne Visa-Freiheit kein Flüchtlingsdeal

Es ist ruhiger geworden an der Ägäis-Küste der Türkei. Dort, wo im vergangenen Jahr Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern die gefährliche Fahrt in Schlauchbooten wagten, um auf eine der nahen griechischen Inseln zu gelangen, legen mittlerweile nur noch relativ wenige Nussschalen ab. Die Zahl der in Griechenland aus der Türkei ankommenden Menschen sank laut UN-Angaben im April auf 130 pro Tag – im März waren es fast noch 900 und in den Monaten der zweiten Jahreshälfte 2015 mehrere Tausend.

Rückführungen

Verstärkte Kontrollen der türkischen Behörden an der Küste, intensivierte Inspektionsfahrten von Schiffen der Türkei, Griechenlands und der NATO in der Ägäis sowie die Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei haben eine abschreckende Wirkung entwickelt, sagen türkische Politiker. Die Zahl der Flüchtlinge habe sich „beträchtlich verringert“, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu im vergangenen Monat. Rund 340 Flüchtlinge sind bisher aus Griechenland in die Türkei zurückgebracht worden; 8000 weitere sollen folgen.

Die Umsetzung des Abkommens mit der EU vom 18. März ist für die Türkei nicht zuletzt deshalb wichtig, weil Ankara im Gegenzug die Aufhebung der Visapflicht für ihre Bürger bei Reisen nach Europa bis Ende Juni erreichen will. Das türkische Parlament in Ankara will im Eilverfahren mehrere Gesetze verabschieden, um vor einem Zwischenbericht der EU an diesem Mittwoch möglichst viele der 72 für die Visa-Freiheit erforderlichen Kriterien umgesetzt zu haben. Sollte die Visa-Freiheit nicht kommen, droht Ankara stets, sei der Flüchtlingsdeal mit Brüssel obsolet.

Neue Flüchtlinswelle droht

Als „Torwächter“ für die EU in der Flüchtlingsfrage soll die Türkei darüber hinaus mit bis zu sechs Milliarden Euro belohnt werden, die für eine bessere Integration der rund 2,7 Millionen Flüchtlinge in der Türkei ausgegeben werden sollen. Inzwischen hat Davutoglus Kabinett die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen an Syrer beschlossen, um diesen einen Anreiz zu geben, in der Türkei auf ein Ende des Bürgerkrieges in ihrem Land zu warten, statt in Europa ihr Glück zu versuchen.

Gleichzeitig beschränkt der türkische „Torwächter“ den Zuzug neuer Flüchtlinge. Auf der syrischen Seite der Grenze gegenüber der türkischen Stadt Kilis warten mehrere Zehntausend Menschen, die vor Kämpfen im Norden Syriens in Richtung Türkei geflohen sind. Menschenrechtler werfen den türkischen Sicherheitskräften vor, teilweise mit scharfer Munition in die Luft geschossen zu haben, um die Flüchtlinge davon abzuhalten, in die Türkei zu kommen.

Eine Eskalation der Kämpfe um die syrische Wirtschaftsmetropole Aleppo 60 km südlich der Grenze könnte eine zusätzliche Fluchtwelle auslösen. Der türkische Regierungssprecher Numan Kurtulus sagte, in diesem Fall werde bis zu eine Million weitere Flüchtlinge in der Türkei Schutz suchen.

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