Grabenkämpfe und Rechtsruck im EU-Parlament

Antonio Tajani
Der Wechsel vom SPD-Politiker Martin Schulz zu Antonio Tajani, dem Gefolgsmann des ersten antieuropäischen Populisten Berlusconi, wird nicht nur für das Parlament, sondern auch für die beiden anderen EU-Institutionen Rat und Kommission, sowie letztendlich für die Bürger, Auswirkungen haben.

In einem im Europa-Parlament beispiellosen Wahlkrimi setzte sich Dienstagabend Antonio Tajani durch, der Kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Forza Italia-Mann und enge Freund von Silvio Berlusconi ist der neue Parlamentspräsident für die nächsten zweieinhalb Jahre.

Der Vorgang bei der Wahl - Stimmengefeilsche, unheilige Allianzen und Denunziationen - gibt bereits klare Hinweise über fundamentale Veränderungen im neuen Machtgefüge des Parlaments: politische Grabenkämpfe, mühsame Entscheidungsfindungen und ein klarer Rechtsruck dominieren die europäische Volksvertretung.

Tajani, der offen sagt, dass er „kein starker Präsident“ sein will, ist dabei, die Bedeutung des Parlaments zurückzudrehen. Dank eines Deals der EVP mit den Liberalen und den Stimmen rechtsnationaler und rechtskonservativer Abgeordneter der EU-ablehnenden Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) ist Tajani gewählt worden. Weniger als die Hälfte der 751 Mandatare, nämlich 351, votierten im vierten und letzten Wahlgang für ihn.

Der Wechsel vom SPD-Politiker Martin Schulz zu Antonio Tajani, dem Gefolgsmann des ersten antieuropäischen Populisten Berlusconi, wird nicht nur für das Parlament, sondern auch für die beiden anderen EU-Institutionen Rat und Kommission, sowie letztendlich für die Bürger, Auswirkungen haben.

Konkret geht es darum, dass Entscheidungen über EU-Gesetze, Budget-Angelegenheiten und Vorlagen, die aus der Kommission kommen, schwer Mehrheiten finden werden, weil die Fraktionen heillos zerstritten und zu Kompromissen kaum bereit sind. EVP, Liberale und die EKR-Gruppe, in der sich Tory-Abgeordnete, Brexit-Befürworter und polnische Vertreter der Regierungspartei PiS tummeln, brauchen für Beschlüsse auch die anderen Fraktionen, Sozialdemokraten und Grüne. Schon freuen sich Gegner des Freihandels, dass das CETA-Abkommen am EU-Parlament scheitern könnte. Bereits im Februar sollte darüber abgestimmt werden.

Auch soziale Anliegen, wie die Reform der so genannten Entsende-Richtlinie, könnte scheitern, weil Konservative und EU-Gegner Lohndumping nicht schlimm finden.
Einen bitteren Beigeschmack hinterlässt aber auch die Performance der Sozialdemokraten, der zweitstärksten Fraktion. Ihr Kandidat Gianni Pittella kündigte vor Wochen die informelle „Große Koalition“ auf, für die sich der ehemalige Parlamentspräsident Schulz stark gemacht hatte.

Die Absprachen zwischen EVP und den Sozialdemokraten verschafften dem christdemokratischen Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker, oft Mehrheiten für schnelle Beschlüsse, zum Beispiel in der Flüchtlingskrise. Viele Abgeordneten vor allem im linken und grünen Lager lehnten diese Absprachen aber ab.

Das Geschacher um den Spitzenjob hat die Stimmung zwischen EVP und Sozialdemokraten gründlich vergiftet. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) warf Pittella öffentlich Wortbruch vor. Eine Woche vor der Wahl machte er den Text einer Vereinbarung publik, welche die EVP und die Sozialdemokraten nach der Europawahl Mitte 2014 geschlossen hatten.

Damals verhalf die EVP dem Sozialdemokraten Schulz zur Wiederwahl. Im Gegenzug sagten die Sozialdemokraten zu, sie würden im Jänner 2017 einen EVP-Kandidaten unterstützen. Als Konsequenz aus dieser Abmachung verzichtete Schulz schließlich schweren Herzens auf eine neue Kandidatur und kündigte seinen Wechsel in die deutsche Politik an.

Anders Pittella: Er setzte sich über die Absprache hinweg und gab im Dezember seine Kandidatur bekannt. Mit Juncker und dem Polen Donald Tusk stünden bereits zwei Konservative an der Spitze von EU-Kommission und Rat. Er wollte ein „Monopol der Rechten“ über die EU-Institutionen verhindern. Damit ist er gescheitert.

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