"Was passiert als nächstes? Bücherverbrennung?"

Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident
Im Europaparlament hielt Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen, eine flammende Rede – die gegen den anwesenden Viktor Orbán gerichtet war.

Viktor Orbán gilt als rechtskonservativer Hardliner. Der ungarische Ministerpräsident versucht immer wieder, den Spielraum seiner Machtpolitik über die vom Regelwerk der EU gesteckten Grenzen hinaus auszuweiten. Er will eine renommierte Hochschule schließen; Gesetze verabschieden, die von Ausland finanzierte Organisationen und Vereine diskriminieren; Roma-Kinder in separaten Sonderschulen für geistig zurückgebliebene Kinder abschieben; demokratische Institutionen schwächen.

Doch Orbán soll nicht immer so gewesen sein, sagte der belgische Politiker Guy Verhofstadt am Mittwoch im EU-Parlament. Der ungarische Premier war anwesend und hörte dem ALDE-Fraktionsführer zu. Orbán sei 1989, als man sich zum ersten Mal begegnete, ein liberaler Demokrat gewesen, erzählte Verhofstadt. "Sie waren so etwas wie der ungarische Emmanuel Macron. Ich glaube nicht, dass Macron erfreut sein wird, das zu hören."

Denn seit 1989 habe sich viel geändert – und anderem auch Viktor Orbán. "Sie haben ihre demokratischen Prinzipien über Bord geworfen und sagen das sehr offen: 'Ich will keine liberale Demokratie erreichen, ich will einen nicht-liberalen Staat.'"

Verhofstadt holte aus und sprach die Maßnahmen gegen NGOs und Medien an, den Bau einer Mauer, die Schließung der Zentraleuropäische Universität und dass Orbán sogar mit der Wiedereinführung der Todesstrafe liebäugelt. "Ich frage Sie. Was passiert als nächstes? Eine Bücherverbrennung? Überall sehen Sie Feinde. Feinde in der Energiepolitik, in den Medien, in NGOs, sogar in Akademikerinnen. Es ist wie in Zeiten Stalins. Auch er litt an Paranoia. Nicht mal die Mehrheit ist genug für Sie. Sie müssen ihre Gegner noch jagen."

Der ungarische Premierminister wirkte wie versteinert, manchmal zieht er seine Mundwinkel nach oben.

Am Ende seiner Rede fragte Verhofstadt, der von 1999 bis 2008 belgischer Premierminister war, Orbán, wie dieser in Zukunft erinnert werden möchte, "als jemand, der Ungarn vom Kommunismus befreit hat? Oder als jemand, der eine offene, demokratische Gesellschaft angegriffen hat?"

Zum Disput kam es auch 2013

Freunde werden Viktor Orbán Guy Verhofstadt nicht mehr. Bereits vor vier Jahren, als der ungarische Ministerpräsident im EU-Parlament seine Politik verteidigte, war Verhofstadt als Counterpart zur Stelle. "Ihr politisches Interesse ist nicht das Interesse der ungarischen Bürger. Wir, das Europaparlament, verteidigen die Demokratie in Ungarn und das Interesse der Bevölkerung", schrie der ALDE-Politiker.

Vorausgegangen war ein kritischer Ungarn-Bericht, in dem der Orbán-Regierung zahlreiche Verstöße gegen europäische Grundwerte vorgeworfen wurden. Kritisiert wurde die ungarische Verfassungsänderung aus dem Jahr 2011, damit wurden zahlreiche einfache Gesetze in Verfassungsrang gehoben, um sie dem Zugriff späterer Parlamentsmehrheiten zu entziehen. Es sei zu einer "Machtkonzentration" in Ungarn gekommen, sagte damals der Grünen-Abgeordnete und Berichterstatter Rui Tavares. Der Fortbestand der Grundrechte in Ungarn sei in Gefahr.

Orbán sagte auch am vergangenen Mittwoch, dass die Vorwürfe der EU ungerechtfertigt seien. Das Hochschulgesetz richte sich gar nicht ausschließlich gegen die CEU. Auch für das harte Vorgehen gegen Flüchtlinge und Migranten gab er eine Begründung an: Ungarn schütze damit doch nur die Außengrenzen des Schengen-Raums, und das auch noch völlig selbstlos. "Wir tun das für Deutschland, Österreich und Schweden", meinte der ungarische Regierungschef. "Dafür sollten wir belohnt werden."

Übrigens ist Verhofstadt bekannt für seine flammenden Reden. Vor etwa zwei Jahre, im Juni 2015, hat er sieben Minuten lang auf den griechischen Premier Alexis Tsipras eingeredet. Der Belgier war wütend: Man sehe bereits fünf Jahre lang zu, wie Griechenland Richtung "Grexit" marschiere und schuld daran seien die Politiker im Land. Seine verbale Katharsis ging viral.

Nicht nur Politikkollegen aller Couleurs und EU-Liebhaber, sondern auch Menschen, die sich normalerweise für Debatten im europäischen Parlament wenig bis gar nicht begeistern können, teilten das Video des belgischen Politikers. Doch inhaltlich bot die Rede nichts Neues. Sie war gut inszeniert und pointiert. Das positive Echo ist wohl hauptsächlich auf seine Emotionen und die Tonalität zurückzuführen – selbst, wenn er vielen Menschen aus der Seele spricht.

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