Alan Webber: "Donald Trump könnte gewinnen"

Alan Webber, ehemaliger Herausgeber der "Harvard Business Review".
Der Ex-Herausgeber des "Harvard Business Review" über den chaotischen US-Wahlkampf.

Wenn die Amerikaner eines wirklich drauf haben, dann ist es der Exzess. Unter dieser Einsicht sei auch der Wahlkampf zu sehen, das ist jedenfalls die These des Alan Webber - eines Kenners des politischen Systems der Vereinigten Staaten. Er war Herausgeber des "Harvard Business Review", gründete die "Fast Company", um sie für 360 Millionen Dollar zu verkaufen und trat 2014 - vergeblich - an, um Gouverneur des Bundesstaates New Mexico zu werden. Und jetzt, jetzt redet er über Reality-TV und die Serie "House of Cards". Weil ihn die politisches Landschaft der USA genau daran erinnert.

KURIER: Wer wird also der nächste Präsident werden?

Alan Webber: Jetzt gerade schaut es so aus, als hätten die Amerikaner die Wahl zwischen jemandem, vor dem sie Angst haben – Trump – und jemandem, den sie nicht mögen – Clinton. In einem konventionellen Wahlkampf könnte man davon ausgehen, dass Hillary Clinton gewinnen wird. Aber dieser Wahlkampf ist kein gewöhnlicher. Donald Trump hat niemand ernst genommen; niemand dachte, dass Bernie Sanders Hillary Clinton gefährlich werden könnte.

Und am Ende könnte ein Präsident Trump stehen?

Donald Trump könnte gewinnen. Das müssen wir akzeptieren. Vor einem Jahr dachten die meisten noch, das Rennen wird zwischen Jeb Bush und Hillary Clinton entschieden. Aber Jeb Bush ist einfach verschwunden und Clinton hat gerade in Michigan gegen Sanders verloren.

Wie kam es dazu?

Wir müssen uns nur die Welt anschauen: Wir kämpfen mit den Nachwirkungen der Wirtschaftskrise, wir haben eine Flüchtlingskrise, es herrscht Angst vor Terrorismus, in den Staaten wird die Schere zwischen den Reichen und allen anderen immer größer. Es gibt wieder mehr Jobs, aber sie werfen nicht mehr Geld ab. Es gibt viele aufgebrachte, wütende und verängstigte Menschen, die Angst vor der Zukunft haben. Es gibt viele junge Menschen, die auf ein teures College gegangen sind, um einen tollen Job zu bekommen – jetzt haben sie Schulden, aber keinen tollen Job. Das Weltbild dieser Menschen ist erschüttert.

Aber Donald Trump ist einer dieser Superreichen, wegen denen die Schere zwischen arm und reich auseinandergeht.

Von einem logischen Standpunkt aus haben Sie Recht. Aber Politik ist emotional. Wir würden uns wünschen, dass die Menschen rationale Entscheidungen treffen. Wenn Trump herumschreit, Menschen beleidigt und attackiert, funktioniert das auf einer emotionalen Ebene. Auch wenn es keinen Sinn ergibt, was er sagt. Wenn Menschen Angst haben, wenn ihr Leben und die Welt plötzlich keinen Sinn mehr ergeben, werden sie emotional.

Und je komplexer die Welt ist, desto einfacher müssen die Lösungen klingen.

Genau. Aber es sind keine echten Lösungen. Die Menschen wurden immer wieder enttäuscht von der Politik und dann kommt Trump und sagt: Es ist alles ganz einfach. Ich habe die Lösung. Das sind die Bösen und wir sind die Guten. Ich mache Amerika wieder stark.

Sind Sanders und Trump dasselbe Phänomen, nur auf der anderen Seite?

Eigentlich sind sie Gegenpole. Die Menschen, die Trump unterstützen, haben das Gefühl, dass das politische System umgeworfen werden muss, dass die Politik versagt hat. Und die Menschen, die Sanders unterstützen, glauben, dass das politische System gestärkt werden muss, damit es besser funktioniert. Sanders soll Präsident werden, damit die Regierung mehr umsetzen kann – damit die Wall Street das Geld zurückzahlen muss, damit die Verantwortlichen für die Krise bestraft werden. Trump-Unterstützer glauben, dass die Regierung an sich Geldverschwendung ist. Aber die Unterstützer beider glauben, dass das politische System korrupt ist, dass es einige wenige bevorzugt. Wenn Sanders also sagt, das College muss gratis sein, stimmen ihm viele junge Menschen zu. Wenn Trump sagt, wir bauen eine Mauer an der Grenze zu Mexiko und lassen keine Muslime mehr herein, stimmt eine andere Gruppe von Menschen zu.

Das Spannende an Donald Trump ist, dass er so gar kein typischer Republikaner ist – er ist aus New York, er ist nicht gläubig, er war bis vor kurzem nicht einmal Republikaner.

Er ist ein riesiges Problem für die Partei. Die Republikaner haben eine Identitätskrise, sie bräuchten eine Psychotherapie. Die Republikaner haben an möglichst wenig Regulierung, niedrige Steuern und ein starkes Militär geglaubt. Sie waren für den kleinen Geschäftsmann da und im Mittleren Westen am stärksten. Und plötzlich kommt Donald Trump, der ist aus Trumpland. Er hat sich selbst als Charakter in einer Reality-TV-Show erfunden. Er ist reich, er hat kein politisches Programm. Er sagt, er ist ein Konservativer, aber wofür steht er? Er hat die republikanische Partei in den vergangenen Tagen endgültig ins Chaos gestürzt. Sie versuchen jetzt alles, ihn zu stoppen, aber das Problem ist: Sie mögen die anderen Kandidaten auch nicht.

In einer der letzten Ausgaben des US-Monatsmagazin The Atlantic wurde die These vertreten, dass Amerika sich nach links bewegt. Glauben Sie das auch?

Gegenfrage: Was ist eigentlich noch links? Ist Trump links oder rechts? Ich weiß es nicht. Dass Homosexuelle heiraten dürfen, ist das links oder rechts? Es gibt unter vielen Konservativen die Ansicht, dass sich die Regierung aus dem Privatleben heraushalten sollte, dass jeder tun und lassen darf, was er will. Dann wäre das rechts. Das große Problem Amerikas hat aber nichts mit links oder rechts zu tun, es ist das Thema Geld in der Politik. In 99 Prozent der Fälle gewinnt bei uns immer der Kandidat, der das meiste Geld zur Verfügung hat.

Aber Jeb Bush hat all das Geld nichts geholfen – und seine Ablehnung der großen Spender ist ein wichtiges Thema bei Bernie Sanders Kampagne.

Trotzdem hat Sanders mehr Geld gesammelt als Clinton. Bei Bush stimmt es schon, der war die falsche Person zur falschen Zeit, dem hat all das Geld nicht geholfen. Umgekehrt gilt trotzdem: Ohne Geld hat man keine Chance. So lange wir daran nichts ändern, werden wir Wahlen haben, die außer Kontrolle geraten. Weil es nur noch um das Geld geht, nicht mehr um die Ideen dahinter.

Ich fand es überraschend, dass Bernie Sanders den aktuellen Umfragen zufolge bei den Wahlen im November sowohl gegen Trump als auch gegen Cruz besser abschneiden würde als Clinton.

Ich nicht. Das hat wieder viel mit Emotionen zu tun. Sanders setzt seine Authentizität gut ein. Journalisten mögen Umfragen, aber diese Kampagnen dauern sehr lange und es kann noch viel passieren. Das Problem ist, dass der Wahlkampf gerade ein bisschen wie eine Reality-TV-Show oder wie House of Cards wirkt, wie ein politisches Theater. Aber die Lage ist sehr ernst. Wer auch immer Präsident wird, verfügt über nukleare Raketen und kann potentiell das Leben aller Menschen auf diesem Planeten beeinflussen.

Aber warum tut sich Clinton so schwer?

Hillary Clinton ist das Gegenteil von Trump, sie ist ein echter Mensch. Sie musste viel über sich ergehen lassen in den vergangenen Jahren. Und wenn man – da sind wir wieder beim Beginn – logisch und nicht emotional darüber nachdenkt, wäre sie die perfekte Präsidentin: Sie ist Juristin, sie ist mit einem ehemaligen Präsidenten verheiratet, sie war Senatorin und Außenministerin – qualifizierter geht kaum. Clinton wäre eine gute Präsidentin, aber irgendwie ist sie keine gute Kandidatin; sie fühlt sich nicht wohl dabei.

Und deshalb tut sie sich gegen einen selbst ernannten Sozialisten so schwer?

Auch die Demokraten müssen sich neu erfinden. Was heißt es 2018 oder 2020, ein Demokrat zu sein? Das verändert sich ständig. Was sind unsere Werte? Sind unsere Lösungen die richtigen? Es gibt mehr Jobwachstum, mehr Innovation. Aber die Löhne steigen nicht. Es profitieren fast nur die ganz oben vom Wirtschaftswachstum. Da stimmt etwas nicht. Und beide Parteien wissen nicht, wie man damit umgehen sollte. Die alten Formeln stimmen nicht mehr. Es braucht neue Ideen. Viele Politiker glauben, das Ziel ist, gewählt zu werden. Aber das ist falsch. Gewinnen allein verändert noch nichts.

Am Ende dieses Wahlkampfs stehen also zwei orientierungslose Parteien?

Diese chaotische Wahl ist ein Weckruf für beide Parteien. Sie müssen sich fragen: Bringen die Dinge etwas, die wir tun? Haben wir die richtigen Ideen? Oder müssen wir etwas anders machen? Nehmen wir ein Medienunternehmen. Es hatte Leser und Anzeigen für sein Printprodukt. Was dieses Unternehmen gemacht hat, funktioniert nicht mehr. Die neuen Technologien haben all das geändert. Alle informieren sich jetzt am Smartphone. Was also tun? Eine Möglichkeit: Ignorieren wir es und tun wir so, als würde es nicht passieren. Das wäre nicht sehr klug.

Das kann man genauso auf die Politik umlegen: Die Wirtschaft wächst nicht so, wie sie sollte. Die Schulen funktionieren nicht. Die Unternehmen finden keine neuen Märkte. Das Steuersystem macht keinen Sinn. Die Reichen werden immer reicher. Jetzt kann man einfach weitermachen und hoffen, dass es niemandem auffällt. Oder wir probieren neue Dinge aus. Was, wenn das Internet gratis wäre? Was, wenn wir uns auf erneuerbare Energien konzentrieren? Was, wenn jeder Schüler statt Algebra programmieren lernen würde? Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Alan Webber ist auf Einladung des Think Tanks „Academia Superior“ in Österreich und moderiert am „Surprise Factors Symposium“, das von 11-13 März in Gmunden stattfindet.

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