Taliban gehen in die Großoffensive

Kämpfe.Schwere Gefechte im Süden des Landes – in Kabul tobt ein Machtkampf ums Präsidentenamt.

Begonnen hatte alles vor fünf Tagen mit blutiger Routine: Taliban-Kommandos griffen zeitgleich mehrere Polizeiposten in der südlichen Region Helmand an. Was seither geschah, hat mit Routine aber nichts mehr zu tun, sich vielmehr zur bisher größten Herausforderung für die afghanischen Sicherheitskräfte ausgewachsen: Die Kämpfe haben sich auf vier Distrikte im Norden der Süd-Provinz Helmand ausgedehnt. War vor zwei Tagen noch von 800 Taliban die Rede, die an ihnen beteiligt seien, waren es am Donnerstag laut Verteidigungsministerium in Kabul bereits mehrere Tausend. Zusätzliche Truppen wurden in die Region verlegt. Offiziellen Zahlen zufolge starben bei den Kämpfen bisher 35 Zivilisten, 40 Soldaten und mehr als 100 Taliban. Mehr als 2000 Familien seien auf der Flucht.

Dass sich die Taliban in einer offenen Feldschlacht ihren Gegnern stellen, ist mehr als ungewöhnlich. In den vergangenen Jahren hatten sie vor allem Anschläge verübt, Selbstmordkommandos ausgesandt und nur in seltenen Fällen schnelle Angriffe mit raschem Rückzug ausgeführt. Dass sie jetzt derart massiv in Erscheinung treten, hat wohl vor allem mit zwei Umständen zu tun.

Die Sicherheitsverantwortung über alle Regionen Afghanistans liegt bereits bei den afghanischen Kräften, Einheiten der NATO-Truppe ISAF treten nur noch unterstützend in Erscheinung – in Fragen der Aufklärung, was Training angeht, und in selten Fällen auch, wenn es um Luftunterstützung geht. Ende des Jahres endet der Einsatz der NATO.

Da ist aber noch ein anderer Umstand: Nach wie vor gibt es keinen Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Hamid Karzai. Nach der Stichwahl am 14. Juni bezichtigten beide Kandidaten, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani, einander der Wahlfälschung. Abdullah war nach der ersten Wahlrunde mit einem 13-Prozent-Vorsprung vor Ghani in die Stichwahl gegangen und hat die Stichwahl laut Medienberichten verloren. Ein Endergebnis liegt noch nicht vor, aber die Wahlkommission (IEC) steht derzeit in der Kritik seitens Abdullahs, im Auftrag Karzais zugunsten Ghanis Stimmen zu zählen. Hintergrund: Abdullah und Karzai verbindet eine innige Feindschaft. Bis zum 2. Juli, so zumindest jetzt einmal der Plan, will die IEC ein vorläufiges Ergebnis vorlegen. Den Taliban derweil könnte der Machtkampf um die Staatsspitze nicht gelegener kommen.

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