Ein Esel als Brücke aus dem Elend

Äthiopien, Caritas
Wiederkehrende Dürren setzen gerade den Ärmsten zu. Die Caritas hilft in vielfältiger Form.

Langsam zieht der Esel den Karren aus dem Dreck. Knietief ist das Gespann eingesunken, die Niederschläge der soeben begonnen Regenzeit (Juni bis September) haben sämtliche Wege hier, zweieinhalb Autostunden südlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, in Sumpflandschaften verwandelt.

Garbi Adishe kann trotzdem lachen. Erstens freut sich die Mutter von fünf Kindern über die „Tröpfchen-Bewässerung“ von oben. Denn in den vergangenen Jahren blieb der Regen nur allzu oft aus, die Felder verdorrten. Und zweitens hat das Lasttier ihr Leben sprunghaft erleichtert. „Früher habe ich mir den 25-Liter-Kanister auf den Rücken gebunden, bin drei Kilometer zum nächsten Brunnen gegangen und dann mit dem Trinkwasser wieder zurück. Danach war ich fix und fertig“, sagt die Enddreißigerin.

Heute wuchtet Garbi Adishe mehrere Kanister auf einmal auf den Karren und gleich auch das Feuerholz, das sie in der Umgebung ihres Dorfes Majalalu sammelt, um zu kochen. Das erspart nicht nur Zeit, sondern auch Strapazen. Die Zwiebel, Karotten und Kohlköpfe, die im frisch angelegten Gemüsegarten neben ihrer Lehmhütte sprießen, gelangen mithilfe des Vierbeiners jetzt ebenso mühelos auf den Markt in der Stadt Meki (10 km).

Von Goldesel zu sprechen wäre weit übertrieben, aber immerhin „haben wir schon zwei Baby-Eseln“, sagt Garbi Adishe und streicht einem der Fohlen durch die Mähne. Später, wenn sie ausgewachsen seien, könne sie die Tiere an andere vermieten und so das Einkommen der Familie aufbessern – überlebenswichtig in Zeiten steigender Lebensmittelpreise: Weil die kleine Regenzeit (Februar–März) etwas ausgelassen hat, muss man für Mais oder Hirse zwischen acht und 20 Prozent mehr zahlen als noch vor einem Jahr.

Insgesamt wurden in der Region 65 Familien mit den „Laufhilfen aus dem Elend“ ausgestattet – Esel samt Karren kamen auf jeweils 160 Euro. „Wir haben gemeinsam mit den Dorfgemeinschaften die Ärmsten der Armen ausgewählt“, sagt Martin Hagleitner-Huber, Projekt-Verantwortliche der Caritas-Feldkirch, die die 29 unterschiedlichen Aktivitäten in Äthiopien koordiniert und mit der nationalen Partner-Organisation ein Jahresbudget von rund 1,6 Millionen Euro umsetzt. Es gehe darum, die Menschen durch nachhaltige Unterstützung ökonomisch robuster zu machen, Reserven anzulegen, um den immer häufiger auftretenden Dürre-Perioden zu trotzen.

„Kinder verhungerten“

Ein Esel als Brücke aus dem Elend
Äthiopien, Caritas
2008 sei es ganz schlimm gewesen, und auch 2011, als 7,5 Millionen Äthiopier auf Nahrungshilfe angewiesen waren. „In unserem Dorf ist Gott sei Dank niemand gestorben“, erinnert sich Lencha Shanka, 60, „aber im Nachbardorf sind viele Kinder verhungert.“ Die Caritas-Österreich, die mit „Nachbar in Not“ vor zwei Jahren zwölf Millionen Euro an Spendengeldern (für Äthiopien, Nordkenia und Somalia) einsammeln konnte, sprang in der Region Shashemene, fünf Autostunden südlich von „Addis“, für 14.000 Notleidende mit Lebensmitteln ein. Später wurden die Bedürftigsten mit 2000 Ziegen (je zwei pro Familien um insgesamt 50 Euro) oder Saatgut versorgt – als Neustart-Hilfe für die Kleinbauern, deren Ackerflächen im Schnitt nur 100 mal 100 Meter groß sind.

Auch wenn der Ertrag kaum zum Überleben reicht, „halten wir die Leute auch dazu an, ein wenig Geld wegzulegen und Sparvereine zu bilden. Dort können sie sich in Krisenfällen, etwa, wenn ein Spitalsaufenthalt ansteht, Geld ausborgen. Denn bei Banken kriegen sie gar nichts, weil sie nicht kreditwürdig sind“, sagt Solomon Kebede, Caritas-Koordinator für Entwicklungsprogramme der Diözese Meki (mit 65.000 Quadratkilometern nur etwas kleiner als Österreich).

Neben diesen Mini-Kooperativen wurden auch Großgenossenschaften mit Getreidespeichern etabliert. „So können Zwischenhändler die einzelnen Bauern preismäßig nicht mehr über den Tisch ziehen, und in den Hallen lagern wir den Mais oder die Hirse und können dann verkaufen, wenn der Preis hoch ist“, so Kebede. 21 solche Genossenschaften wurden im Rahmen der Caritas-Projekte bereits gegründet, rund 150.000 Menschen profitieren davon.Der Erfolg hat sich herumgesprochen: Als Caritas-Präsident Franz Küberl in der Vorwoche einen Speicher in der Nähe von Shashemene eröffnete, feierten das Hunderte – angeführt von einem Reiter mit Leopardenfell und Speer.

Ertrag mit Bienen

„Hunger-Vermeidung ist immer ein Drehen an vielen Schrauben gleichzeitig. Denn eines ist klar: Hunger ist der Brandbeschleuniger für Armut“, betonte Küberl vor mitgereisten österreichischen Journalisten.

Und hier wird ordentlich gedreht: In der Nähe von Seen wurden Bewässerungssystem installiert, die den Bauern bis zu drei Ernten pro Jahr erlauben. Geschlossene „Sparöfen“ beschleunigen nicht nur die Kochzeit und produzieren weit weniger lungenschädigenden Rauch, sondern verbrauchen auch um 55 Prozent weniger Holz. Wiederaufforstungsprogramme wirken der Bodenerosion entgegen. Moderne Bienenstöcke sind sieben Mal effizienter als die traditionellen, und ein Kilo Honig bringt immerhin 80 Birr (mehr als drei Euro), ein Sicherheitswachmann vor einem Gebäude verdient gerade einmal das Achtfache – pro Monat. Begehrt ist der süße Stoff allemal: Tej (Honigwein) zählt zu den äthiopischen Nationalgetränken.

Auch Garbi Adishe setzt diese Alkoholika an, doch als „Zugpferd“ aus der bitteren Armut setzt sie auf ihre Esel.

Ein Esel als Brücke aus dem Elend
Die Regierung Äthiopiens hat sich viel vorgenommen: Bis 2025 will man zu den „middle income countries“ gehören, also das durchschnittliche Einkommen der Menschen stark anheben. Tatsächlich erlebte das Land in den vergangenen Jahren einen makro-ökonomischen Boom mit jährlichen Wirtschaftswachstumsraten zwischen sieben und zehn Prozent. Die Masse der fast schon 100 Millionen Äthiopier (alle zehn Jahre kommen weitere 25 Millionen dazu) hat davon nichts: Vier von zehn müssen mit weniger als einem Euro ihr Dasein bestreiten.

Addis Abeba gleicht einer riesigen Baustelle: Überall werden Einkaufstempel, Hotels und Business-Center hochgezogen. Und jetzt erhält die Hauptstadt auch ihre erste Straßenbahn – erbaut wie so vieles im Land von Chinesen, die mit Arbeitskräften und Waren das Land (und ganz Afrika) förmlich überschwemmen. Spitzname der Asiaten: Kleine Roboter. Die Menschen entlang der „Bim“-Trasse wurden zwangsabgesiedelt, in Äthiopien gibt es keine Eigentumstitel auf Grund und Boden.

Blumen für Europa

Ähnlich ergeht es vielen Kleinbauern, wenn die autoritäre Regierung ausländischen Investoren oft zu Schleuderpreisen riesige Ländereien überlässt. Fährt man von Addis Abeba (übersetzt Neue Blume) Richtung Süden, kommt man immer wieder an Gewächshäusern vorbei, die kilometerlang die Straße säumen. Darin werden Blumen für den europäischen Markt produziert – mit derart viel Pestiziden, dass die Arbeiter nach maximal acht Jahren „ausgetauscht“ werden müssen.

Doch für den vermeintlichen Fortschritt ist kein Preis zu hoch. Bei ihrem jüngsten Prestige-Projekt, einem 6000-Megawatt-Kraftwerk am Blauen Nil, das 3,2 Milliarden Euro kosten wird, riskiert die Regierung sogar einen schweren Konflikt mit Kairo. Dort fürchtet man, dass den ägyptischen Bauern buchstäblich das Wasser abgegraben werden könnte – und droht unverhohlen.

„Wir befinden uns in einem globalen Dorf. Darin kann man nur gut leben, wenn es auch dem Nachbarn gut geht. Daher ist Hilfe letztlich auch eine Investition in die Zukunft Österreichs.“ Das sagte Franz Küberl, Präsident der österreichischen Caritas, zum Auftakt der heurigen Augustsammlung mit dem Motto „Für eine Zukunft ohne Hunger“. Weltweit hätten 875 Millionen Menschen zu wenig zu Essen, so Küberl. Das sei ein Skandal, „denn die Güter der Erde sind für alle da“.

Ein Esel als Brücke aus dem Elend
APA10831946-2 - 06012013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Caritas-Präsident Franz Küberl während eines Interviews mit der APA am Donnerstag, 3. Jänner 2013, in Wien. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Der Koordinator sämtlicher 587 Auslandsprojekte der Caritas in Afrika, Asien und Lateinamerika, Christoph Schweifer, verwies darauf, dass das Recht auf Nahrung in der UN-Menschenrechtserklärung verankert ist. Er prangerte die milliardenschweren Nahrungsmittelspekulationen an, die „Gegenwart und Zukunft der Menschen zerstören und letztlich tödlich sind“. Auch die Konkurrenz „Tank-Teller“ trage Mitschuld an der Misere, weswegen er Einschränkungen beim Biosprit forderte.

Küberls Appell an die Österreicher: „Helfen Sie. Helfen hilft.“

Spenden: PSK. 7,700.004, BLZ: 60.000, Kw.: Augustsammlung.

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