Ärger über House of Lords
Alles wäre vielleicht anders verlaufen, hätte Lord Hailsham nicht neulich wieder einmal seinen Lunch im Restaurant des Parlaments eingenommen. Seine langjährige Lieblingskellnerin habe ihm ihr Leid geklagt, erklärte der einstige konservative Spitzenpolitiker in aller Ausführlichkeit vor den Abgeordneten. Sie sei in Frankreich geboren und wisse nicht, was nach dem Brexit aus ihr werden solle. Das habe ihm zu denken gegeben
Private Anekdoten, weitschweifige Erörterungen über Gott und die Welt, und all das umrahmt von einem Zeremoniell, bei dem etwa der Vorsitzende seit dem Mittelalter auf einem Wollsack sitzen muss, hinter sich eine silberne Keule: Die Debatten im House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments, sind elendslange Veranstaltungen, voll von urenglischen Seltsamkeiten. So muss sich einer der Zeremonienmeister alljährlich gefallen lassen, dass ihm vor der jährlichen Rede der Königin die Tür zum Unterhaus des Parlaments ganz offiziell vor der Nase zugeschlagen wird.
Minister-Ausgedinge
Was die 810 dicht gedrängt sitzenden Abgeordneten in diesen Sitzungen von sich geben, findet meist wenig öffentliche Beachtung. Einst mächtiges Gremium des Adels und der Kirche gilt das House of Lords heute als Ausgedinge für ehemalige Politiker der britischen Parteien. Jede britische Regierung setzt ihre in die Jahre gekommenen Abgeordneten oder Minister dort ab. Eine politische Routineübung, schließlich ernennt die Königin die Lords auf Vorschlag des Premierministers. Nicht umsonst ist das Durchschnittsalter inzwischen 70 Jahre. 92 Sitze gehören weiterhin britischen Adelsfamilien in Erbpacht, werden also seit Jahrhunderten weitergeben.
Dieses verstaubte Gremium kommt nun auf einmal zu einer tragenden Rolle in der Debatte um den Brexit, Großbritanniens EU-Austritt. Eine klare Mehrheit hat den Entwurf für das entsprechende Gesetz abgelehnt und damit ins Unterhaus zurückgeschickt. Politisches Ping Pong zwischen Ober- und Unterhaus droht. Zwar können die Lords das Brexit-Gesetz maximal ein Jahr verzögern, doch der Zeitplan von Premierministerin Theresa May ist empfindlich gestört.
"Abschaffen"
Entsprechend verärgert reagieren vor allem konservative Spitzenpolitiker auf die Entscheidung. Man solle sich, wurde ein ehemaliger Minister der Konservativen deutlich, "eine Abschaffung oder zumindest eine grundlegende Reform" überlegen. Kein neuer Plan.
Buchstäblich seit Jahrhunderten ist die britische Demokratie damit beschäftigt, das Oberhaus zu entmachten – und kommt dabei nur schrittweise voran. Tony Blair war es 1999 immerhin gelungen, die meisten vererbbaren Sitze für Adelige abzuschaffen, doch seither ist jede weitere Reform steckengeblieben, die Idee von einer zweiten Parlamentskammer mit tatsächlich gewählten Mitgliedern in weiter Ferne. Entsprechend harsch das Urteil einer kürzlich von der Regierung eingesetzten Expertenkommission: "Eine schlimm veraltete, nicht mehr repräsentative Institution."
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