Ärger über Bauweise in Amatrice: Mit Sand und Wasser gebaut

Die angeblich bebensicher gebaute Schule von Amatrice – nach den Rettungsteams beschäftigen sich jetzt vor allem auch Staatsanwälte mit den Folgen des Bebens .
Das Beben hat schwere Mängel bei Bauvorschriften und der Bauaufsicht sichtbar gemacht.

In die Trauer mischt sich verstärkt Wut über die Bauweise, bei der jegliche Vorschriften zur Erdbebensicherung der Gebäude missachtet werden. "Hier wurde viel mehr billiger Sand als Zement in das Baumaterial gemischt. Die Häuser sind buchstäblich zerbröselt", sagt Staatsanwalt Giuseppe Saieva. Auch er bestätigt, was in diesen Tagen viele anführen: "Hätte man erdbebensicher wie in Japan gebaut, wäre nichts eingestürzt." Bei einem Erdbeben in Japan ähnlicher Stärke wie in der Region Latium und Umbrien starben vor einigen Monaten im einem dicht besiedelten Gebiet neun Menschen.

Doch es genügt ein Blick in die umbrische Stadt Norcia – das ähnlich nahe beim Epizentrum liegt wie Amatrice. Die 5000-Einwohner-Stadt nahe Perugia hatte nach einem schweren Erdbeben in den 1970er-Jahren die Lehre gezogen und seine Häuser durch neue Bautechnologien erdbebensicher gemacht. Alle Häuser im historischen Zentrum und Umgebung blieben intakt.

Korruption, Fahrlässigkeit oder Schlampereien? Diese Fragen beschäftigt die Staatsanwaltschaft, die in den verwüsteten Gebieten alle Verstöße gegen Bauvorschriften untersucht. Im Fokus dabei steht die erst 2012 – angeblich bebensicher – renovierte Volksschule von Amatrice, die fast zur Gänze einstürzte.

Die Sicherheitsstatistik über den Zustand der Gebäude ist beunruhigend: Landesweit sind 24.000 Schulen und ebenso viele Krankenhäuser im Falle eines starken Bebens einsturzgefährdet.70 Prozent aller Gebäude sind nicht erdbebensicher gebaut. Von 32 Millionen Häusern gelten fünf Millionen im Falle eines starken Bebens als akut einsturzgefährdet.

Nach dem Erdbeben von L’Aquila 2009 führte das Land sehr strenge Vorschriften für erdbebensichere Konstruktionen ein. Der Staat steckte damals eine Milliarde Euro in Präventionsmaßnahmen. Bisher scheiterte der Plan an der normgerechten Umsetzung und mangelnden Kontrollen – und das in einem Land, in dem durchschnittlich alle vier bis fünf Jahre ein schweres Beben ganze Dörfer und Städte zerstört.

Risikoreduktion

Alte Steinhäuser an Berghängen, typische Postkartenmotive, sind laut Experten sehr aufwendig zu renovieren, damit sie baulich gegen Erdbeben gesichert sind. Das Risiko lasse sich nie ganz ausschalten, aber deutlich reduzieren. Wer beim Hausbau alle Sicherheitsvorschriften erfüllt, muss mit Mehrkosten von bis zu 300 Euro pro Quadratmeter rechnen.

Von der Errichtung sogenannter "New Towns", Neubausiedlungen am Ortsrand, wie sie nach der Katastrophe bei ’Aquila hochgezogen wurden, will man in dem einstigen Bilderbuchdorf Amatrice nichts wissen. "Wir werden alles genauso identisch und schön wieder aufbauen. Genau wie im Friaul nach dem Beben 1976", erklärte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi. "Ich fürchte, dass den Bewohner die Kräfte für den Aufbau fehlen. Es gibt keine intakte Familie mehr hier, jeder hat Verwandte verloren", ist der Bruder des Bürgermeisters weniger optimistisch. Das Bergdorf hat mit 231 von insgesamt 291 Toten die meisten Opfer zu beklagen.

Vorerst aber gilt es, den Alltag der 2500 Obdachlosen von Amatrice zu organisieren. In Kürze beginnen die Herbst- und Wintermonate in einer Gegend, wo es selbst im Spätsommer in den Nächten bitterkalt wird. Die Regierung von Premier Renzi hat 50 Millionen Euro für die erste Notfallversorgung in den Erdbebengebieten zur Verfügung gestellt.

Für den Aufbau sind jedoch riesige Summen erforderlich. Anti-Mafia-Staatsanwalt Franco Roberti sprach in einem Interview im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau bereits von einem "traditionellen Leckerbissen für Kriminelle". Und im Internet kursiert eine Petition mit der Forderung, den Lotto-Jackpot – bei der nächsten Ziehung im "Superenalotto" warten 128 Millionen Euro auf den Gewinner – den Erdbebenopfern zu spenden.

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