9 Fragen zur Visafreiheit für Millionen Türken

EU will nächste Woche über Visafreiheit für Türken befinden.

Im Flüchtlingspakt hat die EU der Türkei spätestens ab Ende Juni den Fall der Visapflicht versprochen, wenn das Land die dafür nötigen Bedingungen erfüllt. Millionen Türken könnten dann ohne Visum in die EU-Länder reisen.

Die EU-Kommission will einem Bericht zufolge am kommenden Mittwoch den Weg für eine Visafreiheit für Türken freimachen. Voraussetzung sei, dass das Land bis dahin noch möglichst viele der dafür nötigen insgesamt 72 Bedingungen erfülle, berichtete das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Samstag.

Doch das Zugeständnis ist in der EU hoch umstritten. Ein Überblick über die Vereinbarung und die Hürden, die sie noch nehmen muss:

Was hat die Visafreiheit mit dem Flüchtlingspakt zu tun?

Ursprünglich nichts. Die EU und der Beitrittskandidat Türkei verhandeln schon seit Ende 2013 über die Visafreiheit. Geplant war, diese ab Oktober 2016 zu gewähren. Doch die türkische Regierung setzte in den Verhandlungen um den Flüchtlingspakt durch, dass der Termin auf spätestens Ende Juni vorgezogen wird.

Wäre die Visafreiheit für die Türkei ungewöhnlich?

Nein. Hunderte Millionen Bürger aus mehr als 50 Staaten brauchen kein Visum, um in die EU einzureisen. Die Liste visafreier Länder reicht von den USA über Kolumbien bis nach Südkorea. Auch drei der vier anderen EU-Beitrittskandidaten haben bereits die Visafreiheit: Serbien, Montenegro und Albanien.

Was würde die Visafreiheit konkret bedeuten?

Türkische Staatsbürger wären berechtigt, ohne Visum für Kurzaufenthalte in den Schengen-Raum aus 26 Staaten einzureisen. Dies gilt für Geschäftsreisen ebenso wie für Tourismusaufenthalte oder Familienbesuche. Die Aufenthaltsdauer ist auf 90 Tage pro Halbjahr begrenzt.

Was ist Voraussetzung für die Visafreiheit?

Die Türkei muss 72 Kriterien erfüllen, damit die Visafreiheit gewährt wird. Sie decken fünf Bereiche ab: Dokumentensicherheit, Migrationssteuerung, öffentliche Ordnung und Sicherheit, Grundrechte und die Rückübernahme von Migranten ohne Aufenthaltsrecht.

Erfüllt die Türkei die Kriterien?

Nach einem Bericht der Kommission erfüllte Ankara bis Anfang März 36 der 72 Kriterien ganz oder fast vollständig, 24 teilweise und zwölf gar nicht oder so gut wie nicht. Die Hauptprobleme lagen insbesondere bei der Zusammenarbeit zu gefälschten Dokumenten, fehlender Visafreiheit für alle EU-Staaten, dem Schutz persönlicher Daten, der Einhaltung von Justizstandards sowie der Rücknahme von türkischen Staatsbürgern, die sich nicht länger in der EU aufhalten dürfen. Mittlerweile soll die Türkei 50 bis 60 der Voraussetzungen erfüllen.

Können die 72 Kriterien noch erfüllt werden?

Ankara meint ja, und auch die EU-Kommission hat sich in den vergangenen Wochen zuversichtlich gezeigt. Tatsächlich ist eine hundertprozentige Erfüllung in allen Bereichen nicht sofort erforderlich, denn bei der Bewertung gibt es politischen Spielraum. Die türkischen Anti-Terror-Gesetze könnten aber zum Stolperstein werden.

Wer müsste in der EU der Visafreiheit noch zustimmen?

Am Mittwoch wird die EU-Kommission mitteilen, ob sie die Aufhebung der Visapflicht empfiehlt. Nach Informationen des deutschen Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" will die Kommission einem Wegfall der Visumpflicht zustimmen, wenn die Zahl der noch offenen Punkte im einstelligen Bereich liegt.

Dann müssten der Rat der EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament Grünes Licht geben. Doch in beiden Institutionen gibt es Widerstand. "In einer ganzen Reihe von Hauptstädten" bestehe "ein gewisses Unbehagen" in der Frage, sagt ein Diplomat. Und der liberale Vize-Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lamsdorff, zweifelt daran, ob es in der Volksvertretung eine Mehrheit dafür gibt.

Was würde Ankara tun, wenn die Visafreiheit nicht kommt?

Die türkische Regierung warnt die EU schon seit Wochen davor, ihre Zusagen bei der Visafreiheit nicht einzuhalten. Regierungschef Ahmet Davutoglu sagte, die Frage sei "essenziell". Bei Verzögerungen werde Ankara die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland wieder stoppen.

Was hat es mit der "Notbremse" auf sich?

Um die Vorbehalte in der EU auszuräumen, haben Deutschland und Frankreich vorgeschlagen, die Möglichkeit einer schnellen Rücknahme der Visafreiheit einzubauen - eine Art "Notbremse". Sie könnte etwa gezogen werden, wenn es zu vielen Verstößen kommt - etwa Touristen, die länger bleiben als erlaubt. Dann könnte zunächst für sechs Monate die Visapflicht wiedereingeführt werden - ändert sich nichts, auch für länger.

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