Schicksalsreferendum für Matteo Renzi und Italien

Matteo Renzi, Italiens Premier
In Italien entscheidet die Bevölkerung über eine Verfassungsreform. Premier Matteo Renzi hatte zu verstehen gegeben, dass er im Fall eines Siegs der "Nein"-Front zurücktreten könnte.

47 Millionen Italiener sind am Sonntag zu einem Referendum aufgerufen, mit dem sie vom Parlament verabschiedete Verfassungsänderungen bestätigen sollen. Die von Premier Matteo Renzi unterstützte Reform ist die umfangreichste Verfassungsänderung seit 70 Jahren und sieht die Überwindung des blockadeanfälligen Systems aus zwei gleichberechtigten Parlamentskammern vor.

Das Referendum gilt als Schicksalswahl für Renzi. Der Premier hatte zu verstehen gegeben, dass er im Fall eines Siegs der "Nein"-Front zurücktreten könnte. Dies könnte den Weg zu einer Übergangsregierung ebnen. Die Wahllokale sind am Sonntag von 7.00 bis 23.00 Uhr geöffnet. Da es sich um ein Referendum zur Absegnung einer vom Parlament gebilligten Verfassungsreform handelt, ist anders als bei anderen Referenden in Italien keine Mindestbeteiligung vorgeschrieben. Mit dem Ergebnis wird in der Nacht auf Montag gerechnet. Erwartet wird eine relativ niedrige Stimmbeteiligung.

Berlusconi sieht für Renzi Zukunft als Showmaster

Italiens Ex-Premier und Medienzar Silvio Berlusconi sieht für Renzi eine Zukunft als Showmaster, sollte dieser nach dem Referendum zurücktreten. "Sollte Renzi die Politik verlassen, würde er in der Welt der Fernsehshows bestimmt einen Job finden. Er wäre wirklich sehr gut", sagte Berlusconi im Interview mit der Tageszeitung Il Giornale.

"Versprechen zu halten, ist aber nicht seine Stärke"

Dass Renzi im Fall einer Niederlage zurücktreten wird, glaubt Berlusconi, Eigentümer der größten privaten TV-Gesellschaft Italiens nicht wirklich. "Renzi hat sich verpflichtet, bei einer Referendumsniederlage das Handtuch zu werfen. Er hat auch von einem Rückzug von der Politik gesprochen. Versprechen zu halten, ist aber nicht seine Stärke", kommentierte Berlusconi.

Berlusconi: Referendum gefährlich für Demokratie

Laut dem Mailänder Großunternehmer wäre Renzi im Fall einer Niederlage nicht zum Rücktritt gezwungen, da er im Parlament immer noch über eine Mehrheit verfüge. "Wenn Renzi will, kann er weitermachen, doch ich bin der Meinung, dass die Italiener mit einem neuen Wahlgesetz so rasch wie möglich wieder wählen sollten", sagte Berlusconi.

Ein Sieg des Nein, wäre ein Sieg Italiens, sagte Berlusconi, denn mit Renzis Reform würde es in Italien "weniger Demokratie geben". Der Chef der rechtskonservativen Forza Italia führte in den letzten Tagen einen Wahlmarathon im Fernsehen. "Dieses Referendum ist gefährlich für die Demokratie. Wenn das 'Ja' gewinnt, wird Renzi Herrscher über seine Partei, über den Senat, die Abgeordnetenkammer und über ganz Italien", kritisierte Berlusconi.

Italienischer Autor schreibt an Schäuble: Für Nein bei Referendum

Der deutsch-italienische Journalist und Autor Marco Politi hat an Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der den Italienern ein "Ja" beim Verfassungsreferendum empfohlen hatte, einen offenen Brief geschrieben. In dem in Spiegel Online am Samstag veröffentlichten Gastbeitrag begründet Politi, warum er für ein "Nein" eintritt.

"Viele von uns Italienern und viele meiner Journalistenkollegen haben es als eigenartigen Akt der Einmischung empfunden, als Sie am vergangenen Dienstag auf einer Berliner Diskussionsrunde gesagt haben: 'Wenn ich wählen könnte, ich würde für ihn stimmen', für Matteo Renzi, für SI, ja zur Verfassungsreform", schrieb Politi, dessen Papst-Biographien über Johannes Paul II und Franziskus internationale Besteller sind.

"Warum sollen Sie uns Italienern einen Senat empfehlen?"

"In Deutschland habt Ihr eine Art Senat, den Bundesrat, in dem die Ministerpräsidenten der Länder entscheiden und so abgestimmt wird, wie es die jeweilige Landesregierung für richtig hält - für mich ein gelungenes Beispiel für die Autonomie der Länder. Warum also sollen ausgerechnet Sie uns Italienern einen Senat empfehlen, dem Matteo Renzis Verfassungsentwurf zufolge in Zukunft Landesabgeordnete und Bürgermeister angehören werden, die gelegentlich nach Rom reisen, dort so abstimmen, wie sie lustig sind, ohne an ein verpflichtendes Mandat der eigenen Partei oder Region (wie die Länder in Italien heißen) gebunden zu sein?", argumentierte der frühere Auslandskorrespondent der römischen Tageszeitung La Repubblica.

"Noch dazu sollen diese bunt zusammengewürfelten Senatsmitglieder eine Abgeordneten-Immunität genießen, also juristisch nicht belangbar sein - weder für ihre Tätigkeit im Senat noch für alles, wofür sie auf lokaler Ebene verantwortlich sind. Würden Sie in Deutschland ein derartiges rechtliches Ungeheuer gutheißen? Und würde Sie akzeptieren, dass die Renzi-Regierung Lügen verbreitet, indem sie behauptet, man würde durch diese Änderungen 500 Millionen Euro sparen - während es in Wirklichkeit weniger als 60 Millionen sind?", kritisierte Politi.

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