Aufregung um Mikl-Leitners "Ankerkinder"

Aufregung um Mikl-Leitners "Ankerkinder"
Viel Kritik gibt es an der Innenministerin wegen der Bezeichnung junger Flüchtlinge als "Ankerkinder".

Als Kind, das im Alter von sechs Jahren selbst unbegleitet ins Ausland geschickt wurde, stößt mir diese Pauschalbeschuldigung der Innenministerin sehr auf", sagt Dora Schimanko. Die Wienerin, die 1938 vor den Nazis nach England flüchten musste und nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist, sieht die Situation heutiger Flüchtlingskinder ähnlich: "Das hat damals vielen das Leben gerettet und das tut es auch heute."

Viel Kritik bei Hilfsorganisationen hat die jüngst von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner getroffene Feststellung ausgelöst, dass die im Vorjahr wieder angestiegene Zahl der in Österreich gelandeten "unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge" (plus 65 Prozent) vor allem einen Grund habe: Diese "Ankerkinder" würden ganz bewusst hierher geschickt, damit sie nach Erlangung des Asylstatus dafür sorgen, dass ihre Familie nachkommen können. "Das ist eine Beschimpfung, die mich sehr traurig macht – nirgendwo gibt es Eltern, die ihre Kinder leichtfertig wegschicken", sagt Dora Schimanko.

Zahlenstreit

"Wie so oft bleibt das Innenministerium konkrete Zahlen schuldig und stempelt schutzlose Kinder zu Sündenböcken", meint Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. Bewusst werde ein Punkt aufgegriffen, um dann in einer "sinnlosen Logik alle paar Monate das Asylgesetz zu verschärfen". Und das wegen ein paar Fällen, in denen tatsächlich vielleicht Missbrauch betrieben wurde.

Laut Heinz Fronek von der Organisation "Asylkoordination" habe es im Vorjahr gerade in elf Fällen von anerkannten minderjährigen Flüchtlingen (unter 18 Jahren) in weiterer Folge Familienzusammenführung gegeben. 2011 (Stand 1. Dezember) haben 1195 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt (2010 waren es 934 in zwölf Monaten). Der größte Teil der Flüchtlinge stammt aus Afghanistan.

Dass junge Flüchtlinge nur mit Schlepper-Hilfe bis nach Europa gelangen, sei klar, so Fronek: "Auf legalem Weg kommt ja keiner mehr herein." Was nichts darüber aussage, warum sie überhaupt flüchten: "Das ist in Ländern wie Afghanistan eine Mischung aus ökonomischen Gründen, Perspektivlosigkeit, konkreter Verfolgung und der Angst der Eltern um ihre Kinder." Dass sie in Österreich ein schnelleres Verfahren oder leichter Asyl erhalten, sei in der Praxis nicht gegeben. "Es gibt keine Pauschalverurteilung, das ist auch strikt abzulehnen", sagt unterdessen Innenministersprecher Hermann Muhr. Dass unbegleitete Minderjährige jedoch immer mehr in den Fokus von Schleppern geraten, sei eine Tatsache.

Schlepper: Profitorientiert, gut organisiert und informiert

Einen großen Boss, über den alles läuft, gibt es nicht", sagt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle der Bekämpfung der Schlepperkriminalität im Bundeskriminalamt (BK), über Struktur und Aufbau jener Schlepperbanden, die unter anderem den Transport von Kindern und Jugendlichen aus deren Heimatländern bis nach Europa organisieren.

Unterschiedliche, teils vernetzte Gruppierungen sind in den Durchreise-Ländern – wie im Iran, Türkei, Griechenland bis hin zu den Zielländern – stationiert. Flüchtlinge werden so von einem zum nächsten weitergereicht. Als Anlaufstellen in den Heimatländern fungieren "Agenten", bei denen die Reisen gebucht werden. "Da wird teils aktiv geworben, teils läuft das über Mundpropaganda", so Tatzgern.

Die Kosten sind je nach "Service" unterschiedlich, können durchaus mehr als 10.000 Euro betragen. Um das Geld aufzubringen, unterschreiben die Familien in der Heimat etwa Schuldscheine und/oder die Betroffenen müssen die Beträge später abarbeiten. "Schlepper sind keine Fluchthelfer, denen geht es nur um den Profit", sagt Tatzgern. Und sie sind gut informiert – über Gesetzesänderungen ebenso wie über mögliche polizeiliche Kontrollen – sowie sehr flexibel, was die Änderung von Transportrouten oder Transportmittel betrifft.

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