Ates: "Wir müssen über Zwangsehen reden"

Ates: "Wir müssen über Zwangsehen reden"
Sie ist eine der profiliertesten Integrations­expertinnen Deutschlands – und sie ist selbst gläubige Muslimin: Seyran Ateş über "unsäg­liche" Kopftücher und den Multikulti-Irrtum.

Seyran Ateş will nicht schweigen. Eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen Integrationsdebatte meldet sich trotz mehrerer Morddrohungen wieder zu Wort. Und sie nimmt Muslime und die Politik in die Pflicht.

KURIER: Frau Ateş, wir leben in einer Zeit, in der ein islamfeindlicher Film zum weltweiten Flächenbrand führen kann. Sind Sie besorgt?
Seyran Ateş:
Ja. Es wird in der muslimischen Welt schon zu einem regelrechten Sport, einen Grund wie diesen Film zu finden, der Ausschreitungen gegen den Westen legi­timieren soll. Hier wird die Religion dazu genutzt, politische Ziele zu erreichen.

Wir alle haben die Bilder wutentbrannter musli­mischer Bürger – auch in Europa – gesehen. Wie hoch ist der Prozentsatz fundamentalistischer Gläubiger?
Wir sollten die Macht der Bilder nicht unterschätzen. Beleidigt werden kann im Grunde nur der Fundamentalist und davon gibt es nicht so viele. Nicht mehr als fünf Prozent der Muslime in Österreich oder in Deutschland sind fundamentalistisch.

Ist Ihre Kritik an Muslimen nicht Wasser auf die Mühlen der Populisten?
Nein, das Motiv der Populisten ist Hetze. Gleichzeitig muss man es thematisieren dürfen, wenn einige wenige aus Europa einen isla­mischen Kontinent machen wollen. Das Thema ist zu wichtig, als dass man es Populisten überlassen darf.

Ist es problematisch, wenn Zuwanderer in Österreich vor allem in niedrigen Bildungsschichten vertreten sind?
Das ist bedenklich, aber der Trend geht bei den Zuwanderern der zweiten und dritten Generation bereits in eine positivere Richtung.

Zuwanderungsdebatten sind in der Regel Islam­debatten. Zu Recht?
Ja. Aus diesem Grund gab es in Deutschland neben dem Integrations-, auch einen Islamgipfel. Immerhin müssen wir mit dem Islam eine Reli­gion integrieren. Gleichzeitig ist es nötig, sachlich über Themen wie Zwangsehen und Ehrenmord zu sprechen .

Nach Erscheinen Ihres Buches erhielten Sie Morddrohungen. Sie stehen noch unter Personenschutz. Woher kommt diese Wut?
Ich bin ein Vorbild für junge Muslime und als solche bin ich für radikale Islamisten gefährlich. Sie fürchten, dass junge Männer und Frauen mit überalteten Traditionen brechen könnten.

Wie oft sind Ihnen als Anwältin Fälle von Zwangs­heirat untergekommen?
Oft, gerade betreue ich eine Muslimin, die in der Türkei mit ihrem Cousin verheiratet werden sollte. Ich habe mich deshalb auch sehr für einen eigenen Straftatbestand Zwangsehe ausgesprochen.

Sie sagen, der Traum der Multikulti-Gesellschaft sei gescheitert. Warum?
Ich lebe gern in einer multikulturellen Gesellschaft. Aber ich glaube, dass wir fremde Kulturen zu lange nicht an unseren Grundwerten gemessen haben. Es gab da eine falsch verstandene Toleranz. Verfassungspatriotismus sollte man aber von jedem Bürger einfordern dürfen.

Sie sind gegen das Tragen von Kopftüchern. Ist das nicht nur eine Schein­debatte? Kritikern geht es selten um die Rechte der Frauen.
Ich habe meine Motive stets als Frauenrechtlerin begründet. Die Frauen sollten von diesem unsäglichen Stoff befreit werden, der ihnen den Raum zum Atmen nimmt. Das Kopftuch ist für mich, die ich gläubige Muslimin bin, kein religiöses Symbol. Meine Haltung lässt sich auch mit dem Koran begründen.

Aber es gibt nicht wenige Frauen, die behaupten, das Kopftuch freiwillig zu tragen.
Es gab auch Frauen, die einst gegen das Frauenwahlrecht auftraten. Am Ende des Tages symbolisiert das Kopftuch die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts. Und dagegen wehre ich mich.

Bereitet Ihnen der Erfolg populistischer Parteien in Europa große Sorgen?
Ja. Es gibt eben nicht nur radikale Muslime, sondern – wie wir im Fall der Zwickauer Zelle gesehen haben – auch eine rechte Gefahr, die Morde verübt hat. Aber letztlich vertraue ich auf die große Menge der Demokraten, die dagegen aufbegehrt. Und ich vertraue auf einen liberalen Islam, der sich in Europa durchsetzen wird. Mein Ziel ist es, in Berlin die erste freie Moschee zu gründen. Eine Moschee, die Frauen ohne Kopftücher besuchen können.

Porträt: Engagiert, ausgezeichnet, bedroht

Von Istanbul ...

Ateş wurde 1963 in Istanbul geboren. In Berlin arbeitete sie lange als Anwältin. Sie vertrat zahlreiche zwangsverheiratete Frauen. Daneben schrieb sie Bücher ("Der Multikulti-Irrtum", "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution").

nach Berlin ...

Wegen Morddrohungen stellte sie ihre Anwaltstätigkeit zeitweise ein. Ateş war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und nahm am Integrationsgipfel des Bundes teil. Sie wurde u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

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