Angehörige des Unglücks von Smolensk

Fragmente der Unglücksmaschine
Vor einem Jahr stürzte die Präsidentenmaschine in Russland ab. Der KURIER besuchte Angehörige von zwei der 96 Todesopfer.
Angehörige des Unglücks von Smolensk

Auf dem Kaminsims i­hrer Krakauer Altbauwohnung steht sein Porträt, ein weißhaariger Mann mit forschem Blick. „Ich kam bisher nicht wirklich dazu zu trauern“, sagt Izabella Skapska. Ihr Vater, Sariusz Skapski, saß am 10. April 2010 in der Tupolew TU-154, die mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und 94 weiteren hochrangigen Passagieren nahe Smolensk abstürzte. Kaczynski wollte bei dem westrussischen Städtchen Katyn die polnischen Opfer des sowjetischen Geheimdienstes würdigen, die 1940 in einem Wald erschossen wurden. Skapski, ein Vertreter des katholisch-liberalen Krakauer Bürgertums, war als Vorsitzender der Angehörigengemeinschaft „Katyner Familien“ dabei. Sein Vater gehört 1940 zu den Ermordeten. „Spekulationen, Theorien, neue Informationen, aber vor allem der politische Streit lassen mich und meine Familie nicht zur Ruhe kommen. Ein Teil der Politiker will aus der Katastrophe Profit schlagen“, meint seine Tochter.

Kurzes Zusammenrücken

Das Einheitsgefühl, das Polen nach dem Unglück erfasste, hielt zumindest nicht lange an. Die meisten Toten waren Mitglieder der Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) oder standen ihr nahe. Ihre Gesinnungsfreunde warfen und werfen der Regierung vor, den Unfallhergang nicht aufklären zu wollen und nicht genügend Druck auf Russland auszuüben. Über die Ursache des Flugzeugabsturzes will Skapska, die Redakteurin einer Literaturzeitschrift, nicht sprechen. Für sie war es ein Unfall und zwischen dem Tod des Großvaters und dem des Vaters macht sie einen Unterschied. Gegen diejenigen, die von einem „neuen Katyn“ sprechen – wie die „Vereinigung Katyner Familien 2010“, in der sich Kaczynski-nahe Angehörige gesammelt haben – protestiert sie entschieden. Das Land ist in dieser Frage so zerstritten, dass es mehrere separate Trauerfeierlichkeiten geben wird. In der Warschauer Innenstadt sind am 10. April Proteste der PiS-Anhänger gegen die Regierung angekündigt. An diesem Tag wird Izabella Skapska im Zug sitzen, um am 11. April beim Treffen zwischen dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski und seinem russischen Gegenüber Dmitri Medwedew in Katyn dabei zu sein. Als neue Vorsitzende der Katyner Familien hat sie das Erbe des Vaters angetreten, um die Erinnerung wachzuhalten und um von Russland weitere Unterlagen zu fordern.

„Wie ein Weckruf“

Angehörige des Unglücks von Smolensk

Auch die Krakauer Anwältin Malgorzota Wassermann, 33, hat ihren Vater in Smolensk verloren – Zbigniew Wassermann war Staatsanwalt und ein bekannter Politiker der PiS. Mit dem Verlust kann sie sich nicht abfinden, immer wieder schreckt sie die Tatsache, dass ihr Vater nicht mehr da ist, wie ein „Weckruf“ auf. Sie redet in wohlgeformten, schnellen Sätzen, knetet ihre Finger, ab und zu ringt sie um Fassung. Von der Regierung unter Donald Tusk, geführt von der konservativ-liberalen Bürgerplattform, hält sie nichts. „Sie hat in den vergangenen zwölf Monaten sehr wenig getan, um der Wahrheit über Smolensk näherzukommen.“ Seit der Übergabe der letzten Dokumente aus Moskau im Dezember sei nichts geschehen. „Wir wollen Beweise und Dokumente und keine Symbole oder Schulterklopfen an der Absturzstelle.“ Eine Anspielung auf die Umarmung zwischen Tusk und Wladimir Putin in Smolensk – eine Geste, die viele Rechte aufbrachte. Es fehle am Zugang zu Untersuchungen des Flugzeugwracks, es gebe kein Original der Blackbox, keine Aufzeichnungen des Towers, keine Besichtigung des Unglücksorts. Doch selbst das fragmentarische Material, das Polen zugänglich gemacht wurde, weise darauf hin, dass Russland die Hauptschuld an der Katastrophe trage. „Die Piloten sind von den russischen Lotsen so falsch geleitet worden, dass sie keine Chance mehr hatten“, davon ist die zierliche Anwältin überzeugt.

Widersprüche

Polnische Staatsanwälte hätten Protokolle der Lotsen mitgenommen, die voller Widersprüche waren. Russische Staatsanwälte wollten Monate später die polnische Seite überreden, diese wegzuschmeißen, erklärt sie. Smolensk sei zwar nicht wie Katyn, aber beiden Fällen ist gemeinsam, dass die russische Seite den Polen nicht die vollständigen Dokumente überlassen haben. Es gehe nicht um Rache, erklärt Wassermann mehrmals, sondern um Wahrheit und Gerechtigkeit.

Artikel vom 9.4.2011

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