AI: Folter in 101 Ländern

AI: Folter in 101 Ländern
Der Amnesty-Jahresbericht widmet sich vor allem Syrien und Russland. Aber auch in Österreich kommt "menschenrechtliche Gänsehaut" auf.

In 101 Ländern werden laut aktuellem Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Menschen gefoltert und misshandelt. Das sind knapp mehr als der Hälfte aller Länder der Welt. In 91 Ländern sei zudem die Meinungsfreiheit eingeschränkt.In mindestens 155 Ländern werden Menschenrechte verletzt. Besonders schlimm sei die Situation in Saudi-Arabien und Nordkorea. Amnesty fordert zudem eine wirksame Kontrolle des internationalen Waffenhandels. 60 Prozent der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen "werden mit Handfeuerwaffen oder leichten Waffen begangen".

Aber es gibt auch positive Nachrichten: Positiv verzeichnet wurde die Abschaffung der Todesstrafe in mittlerweile 141 Ländern, im Jahr 1982 waren es nur 63. Außerdem werde die Menschenrechtssituation insgesamt betrachtet weltweit besser, sagte Heinz Patzelt, Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Österreich bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Wien. Der Jahresbericht erscheint heuer zum 50. Mal.

Syrien

Syrien steht im Mittelpunkt des heurigen Berichts. Das brutale Vorgehen der Regierung unter Präsident Bashar al-Assad gegen die Bevölkerung durch u.a. Verschleppungen, Folter, Verbrennungen von Leichnamen wurden festgehalten. "Andersdenkende werden niedergemetzelt, verschleppt und gefoltert", sagte Patzelt. Auch Ärzte, die ihre medizinische Pflicht erfüllten, seien der Verfolgung ausgesetzt. Unter Verweis auf Fallbeispiele gravierender Menschenrechtsverletzungen stellte Patzelt fest, dass Syrien "ein sehr zutreffendes Beispiel" dafür sei, "wie Dinge schief gehen können".

Rund zehn Tage sei die Amnesty-Mitarbeiterin Donatella Rovera dafür in verdeckter Mission in Syrien unterwegs gewesen und habe sich ein Bild von der Lage gemacht. Sie ist in das umkämpfte Idlib gereist. Rovera schilderte ihre Eindrücke folgendermaßen: "In zahlreichen Dörfern und Städten rund um Idlib sind die Narben der jüngsten militärischen Interventionen sichtbar. Hunderte Häuser wurden niedergebrannt und überall traf ich auf Familien, deren Verwandte umgebracht worden waren, manche auf grausamste Weise. Ich habe mit Müttern gesprochen, deren Söhne vor ihren Augen verschleppt worden waren. Später wurden diese Söhne erschossen und die Leichen angezündet, sodass man nur noch die verbrannten Körper fand."

Rovera sei Zeugin davon geworden, dass das syrische Regime "die Zügel noch fest in der Hand" habe und "systematisch brutal und hemmungslos" jegliche Opposition niederschlage. Von einem Bürgerkrieg in dem gleich starke Kräfte miteinander kämpften, könne man in Syrien nicht reden, sagte Patzelt. "Ich bin nicht optimistisch für Syrien", sagte er. "Das wird nicht gut gehen, wenn die Welt rundherum sich nicht ändern wird."

Russland

Russland sei als Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat und Waffenlieferant im Umfang von etwa vier bis fünf Milliarden Euro jährlich "mitverantwortlich an schweren Menschenrechtsverletzungen", sagte Patzelt und forderte eine umgehende Untersuchung der "in Syrien verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit" durch den Internationalen Strafgerichtshof.

Die Menschenrechtslage in Russland selbst sei ebenfalls prekär. Patzelt sprach von einem "sehr, sehr autoritären Regime", einem "Ping-Pong-Wechsel" in Wladimir Putins Regierung, einem "Niederknüppeln" der Opposition sowie von der Lebensgefahr, die für Journalisten vor Ort herrsche. Ein "alarmierendes Signal" sei der neue Innenminister, der ehemalige Moskauer Polizeichef Wladimir Kolokolzew. Dieser sei u.a. durch Verhaftungen und Verschleppungen von Oppositionellen nach den vergangenen Wahlen "für ein gezieltes völliges Mundtotmachen" mitverantwortlich.

Gutes Zeugnis für EGMR

Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts gilt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der EGMR sei eine "hervorragende, spezielle Einrichtung", die bereits zu vielen strukturellen Menschenrechtsproblemen in Europa maßgeblich Entscheidungen gefällt habe. Patzelt verwies auf Urteile wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Italien wegen "Pauschalabschiebung" von Flüchtlingen. Gegen Bulgarien wurde ein "bahnbrechendes Urteil" gegen Roma-Vertreibungen gefällt und gegen verschiedene europäische Länder laufe derzeit eine Klage aufgrund der Unterstützung der US-amerikanischen menschenrechtswidrigen "Entführungsaktionen" im Namen des "Kriegs gegen Terror", sagte er unter Verweis auf mutmaßliche CIA-Geheimgefängnisse.

Deshalb sei der EGMR ständig "Attacken" von europäischen Ländern, die dessen Tätigkeiten einschränken wollen, ausgesetzt. Bisher konnten diese erfolgreich abgewehrt werden. Die Menschenrechtsorganisation befürchtet jedoch, dass derartige Versuche fortgesetzt werden und damit zum Ziel hätten, "den Menschenrechtsschutz auszuhöhlen".

Österreich ein "menschenrechtlich lebenswerter Platz" mit Vorbehalten

Amnesty International Österreich kritisiert laut Generalsekretär Patzelt in seinem Jahresbericht das "Missverhältnis von Grundrechtseingriffen und Rechtsschutz in Österreich". Vor allem der Bereich des Asyl- und Fremdenrechts, des Sicherheitspolizeigesetzes und der Vorratsdatenspeicherung gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik.

Offensichtlich wolle man einen "totalen Überwachungsstaat" schaffen, kritisierte Patzelt unter Verweis auf die neuesten Gesetzesnovellen im Rahmen der Anti-Terrorgesetze. Die beschlossene Ausdehnung der sogenannten erweiterten Gefahrenforschung im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes verursache bei ihm eine "menschenrechtliche Gänsehaut". Eine Abkehr vom klassischen Rechtsprinzip "Was nicht gesetzlich verboten ist, ist erlaubt" zu einem "Was der Staat nicht ausdrücklich gestattet, ist verdächtig" sei in Österreich zu beobachten, so Patzelt.

Zur Verfassung des Grundrechtsschutzes in Österreich meinte der Generalsekretär, dass "eine sehr gefährliche Entwicklung" im Gange sei. "Wer dagegen den Grundrechtsschutz auch noch weiter aushöhlt, rüttelt an den Grundfesten des Rechtsstaats." Deshalb fordert Patzelt ein "mehr an Rechtsschutz" bei einem "mehr an Grundrechtseingriffen". Zusätzlich kritisierte er das Fehlen eines "Antifolterparagraphen im Strafgesetzbuch, die Schubhaft für Jugendliche, Mängel bei der Bekämpfung von Rassismus und polizeiliches Fehlverhalten in einigen Fällen". Grundsätzlich sei das Land ein "menschenrechtlich lebenswerter Platz" in der Europäischen Union - v.a. dann, wenn man "gut angezogen" sei und ausgezeichnete Deutsch-Kenntnisse habe, so Patzelt.

Fall Bakary J.

Zum Fall des durch Polizisten gefolterten Bakary J. im Jahr 2006 sagte Patzelt: "Bedenklich" sei, dass dessen Bearbeitung "so lange" gebraucht habe. "Positiv" sei aber, dass die an der Folter direkt beteiligten Polizisten "endlich" rechtskräftig entlassen wurden. Jener in den Fall verwickelte Beamte, der noch Dienst versehen dürfe, habe u.a. "nur" für den Schlüssel zur Lagerhalle gesorgt. Für Patzelt wäre diese Art der Beihilfe "ausreichend" für eine Verurteilung wegen Folter - allerdings sei dies wegen dem fehlenden entsprechenden Paragrafen nicht möglich.

Die Ankündigung des Innenministeriums, mit dem Folteropfer Kontakt aufzunehmen, heißt Patzelt gut. Er fordert eine "substanzielles finanzielles Entschädigungsangebot" für Bakary J. und eine langfristige Sicherung des Aufenthaltsrechts für ihn und seine Familie. So könne man laut Patzelt "eine wirksame menschenrechtliche Wiedergutmachung" sicherstellen.

Kommentare