"Spiele der Ausgrenzung" sorgen in Rio für wenig Euphorie

"Spiele der Ausgrenzung" sorgen in Rio für wenig Euphorie
Begeistert verfolgt die halbe Welt die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Auch in der Nacht auf Montag saßen Zigtausende Menschen in Österreich vor den Bildschirmen, um Usain Bolts 100 Meter Sprint live zu verfolgen. Nur bei vielen Cariocas, den Einwohnern Rios, will keine richtige Olympia-Freude aufkommen.

Schon zur Eröffnungsfeier kam es zu großen Demonstrationen gegen die Olympischen Spiele. Immer wieder gehen die Menschen in Rio auf die Straße, obwohl die Polizei die Demonstrationen schnell zu beenden weiß.

"Der Protest richtet sich allerdings nicht gegen die Spiele selber. Vielmehr richtet sich die Wut vieler Brasilianer gegen die durch Korruption erhöhten Olympia-Kosten in Zeiten wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krise", erklärt Felipe Demier, Politologe an der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, im APA-Gespräch. Die Brasilianer seien derzeit mit anderen Dingen beschäftigt. Interimspräsident Michel Temer habe die eigentliche Präsidentin Dilma Rousseff mit fadenscheinigen Gründen abgesetzt. "Das war ein Staatsstreich nach allen Regeln der Kunst", meint Demier.

Die Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit haben das Land unterdessen fest im Griff. Dennoch pumpte Brasilien fast zehn Milliarden Euro in die Sportstätten und Infrastrukturprojekte in Rio de Janeiro, damit die Welt im August eine tadellose Olympia-Stadt sehen kann. Mit der Verschlechterung der Wirtschaftslage kamen aber die Probleme: Plötzlich ist Rio pleite. Bereits Ende Juni musste der Bundesstaat Rio den finanziellen Notstand ausrufen.

So gibt es kaum noch Geld für Lehrer, Ärzte, Feuerwehrleute oder Polizisten. Schon seit Monaten werden Dutzende Schulen von Schülern besetzt, die dafür kämpfen, dass die Lehrer wieder Löhne erhalten und Unterricht geben. Aufgrund leerer Staatskassen mussten im vergangenen Jahr schon mehrere Krankenhäuser schließen. An einigen Kliniken kommt es bereits zu Engpässen bei Medikamenten und Spritzen. "In einer solchen finanziellen Notlage Olympische Spiele auszurichten, ist einfach unverantwortlich", meint Jorge Darze, Sprecher der brasilianischen Ärztegewerkschaft SinMed. "Die durch die Olympiade fehlenden Gelder sind für die Einwohner Rios ein größeres Gesundheitsproblem als das Zika-Virus."

Am härtesten trifft es allerdings die Ärmsten. "Bettler und Straßenkinder werden zur Olympiade einfach weggesperrt oder aus dem Zentrum verbannt, damit die schöne Postenkartenidylle Rios für die internationalen Medien und Olympia-Besucher keinen Schaden nimmt", erklärt Regina Leao, Koordinatorin der Jugend-Sozialprogramme in der katholischen Erzdiözese Rio de Janeiro.

Von den Spielen scheint tatsächlich nur ein Teil der Bevölkerung zu profitieren. Selbst die damit verbundenen Infrastrukturprojekte kommen eher der Mittel- und Oberschicht zugute. So wurden fast ausschließlich die Straßen und Häuser in zentralen Stadtvierteln verbessert. In den Favelas, Rios Armenvierteln, wurde kaum investiert.

Schlimmer noch: "Mit der Ausrede der Fußballweltmeisterschaft und der Olympischen Spiele wurden in Rios Armenvierteln rund 80.000 Personen einfach zwangsumgesiedelt", sagt Sandra Quintela, Koordinatorin des Instituto Politicas Alternativas para o Cone Sul (Pacs). "Doch anstelle von Infrastrukturprojekten für die beiden Großereignisse wurden schicke Büros, Einkaufszentren, Hotels und Luxuswohnungen gebaut. Bauunternehmen, Immobilienspekulanten und Politiker nutzen die Olympiade, um Arme von begehrtem Bauland zu vertreiben."

Die NGO, die von der österreichischen Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar unterstützt wird, untersucht die sozialen Kosten von sportlichen Megaevents wie den Olympischen Spielen und engagiert sich aktiv bei der Kampagne "Spiele der Ausgrenzung". Dutzende Menschenrechtsorganisationen protestieren unter diesem Motto gegen die sozialen Kosten, die vor allem Rios Ärmste der Armen für die Olympischen Spiele zahlen müssen.

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