Neues Österreich-Bild dank Conchita Wurst

Der Song Contest ist schon lange ein Politikum. Diesmal war er auch eine Abrechnung mit Putin.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Österreich steht in Europa – wenn auch vermutlich nur für wenige Tage – als tolerantes Land da.

von Gert Korentschnig

über Conchita Wurst

An den Wertungen beim Song Contest konnte man oft die Stimmungslage in Europa ablesen: Welche Länder gerade en vogue waren; und welche imagemäßig „unten durch“.

Österreich zählte meist zur zweiten Kategorie. Das hatte sicher mit der Geschichte des Landes zu tun und der lange Zeit nicht existenten Bereitschaft zu deren Aufarbeitung. Später dann mit Jörg Haider. Vielleicht sogar mit Fritzls Keller-Irrsinn. Als cooles, weltoffenes Land galt Österreich nicht. Wenn man so will, war der Song Contest die televisionäre Variante der EU-Sanktionen. Im Geiste der „Mir san mir“-Mentalität nahm man ihn daher nicht mehr ernst und schickte Clowns dorthin.

Conchita Wurst ist es nun zu verdanken, dass Österreich in Europa – wenn auch vermutlich nur für wenige Tage – als tolerantes Land da steht. Ein Mann mit Bart, der sich als Frau verkleidet, eine Travestie-Nummer konsequent durchzieht, steht für liberales Denken, für Respekt gegenüber Menschen mit anderen Lebensformen. Dass es in Österreich diesbezüglich keinen breiten Konsens gibt, dass Conchita ein ideologischer Ausreißer ist, musste man in Kopenhagen ja nicht allzu laut sagen.

Ihr Lied war exzellent gewählt, ihre Performance professionell, ihr Erscheinungsbild sympathisch. Dennoch ist der Sieg Österreich passiert. Die Wahl von Conchita ist auch eine gegen Homophobie. Gegen ebensolche Tendenzen in Putins Russland. Vielleicht sogar gegen die Vorgänge in der Ukraine. Mit Österreichs Musikschaffen hat Conchita so viel zu tun, wie Udo Jürgens mit dem Polit-Sumpf in Kärnten. Aber sie ist ein Plädoyer für Liebe, Frieden, Offenheit. Dafür bekam Österreich sogar von Israel zwölf Punkte, was eine Weltsensation ist.

Es gibt keinen Grund, sie zu heroisieren. Aber viele Gründe, dort weiterzumachen, wo sie angefangen hat.

Der Phoenix ist in Wien gelandet. Nach der Sensation von Samstagnacht, als Conchita Wurst den 59. Song Contest gewann, setzte das Flugzeug aus Kopenhagen gestern Mittag am Flughafen Wien-Schwechat auf. In der Ankunftshalle herrschte Stadionatmosphäre: Tausende Fans, Hupen, Österreich- und Regenbogenfahnen, aufgemalte Vollbärte, Plakate mit Botschaften wie „Queen of Love & Tolerance“. Die Menge sang sich in Endlosschleife mit dem Gewinnerlied „Rise Like A Phoenix“ ein.

Um 12.15 Uhr präsentierte sich Wurst perfekt geschminkt und stolz mit der gläsernen Eurovisions-Trophäe in der Hand. Die Polizei musste ihr den Weg durch die jubelnde Menge bahnen. Den Pokal hielt sie fest an ihren Körper gedrückt, ab und zu ein freundliches Lächeln für die Fans, dann war sie entschwunden.

„Danke, mir geht es sehr gut“

Nicht einmal eine Stunde später stellte sich Wurst in einem Hotel am Flughafen einer Hundertschaft an Journalisten. Keine Anspannung war zu spüren. „Danke der Nachfrage, mir geht es sehr gut,“ sagte sie, müde aber glücklich, und erzählte von ihrer Abreise: „Wir haben hysterisch eingepackt, ich hatte ja so um die 100 Kilo Klamotten mit ...“

Dann folgten aber doch Berichte von Stunden der Anspannung. Im Halbfinale sei sie noch sehr nervös gewesen, im Finale habe sie sich aber richtig gut gefühlt – vor allem, als sie beim Voting erstmals kurz die Führung übernahm. „Ich habe gesagt: Wir sind jetzt gerade eine Minute lang auf Platz eins – genießt das, es wird nicht so bleiben.“ Es kam anders. Das Gefühl, dass tatsächlich eine reelle Chance besteht, sei in den beiden Tagen vorm Finale entstanden.(Runterscrollen um weiterzulesen)

Bilder vom Empfang in Wien

Neues Österreich-Bild dank Conchita Wurst

Austria's Conchita Wurst arrives with her trophy a
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Fans take pictures as Austria's Conchita Wurst arr
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SONG CONTEST 2014: CONCHITA WURST BEI IHRER ANKUNF
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Austria's Conchita Wurst addresses a news conferen
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Austria's Conchita Wurst smiles as she addresses a
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Austria's Conchita Wurst poses with her trophy aft
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Austria's Conchita Wurst poses with her trophy and
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Austria's Conchita Wurst poses with her trophy bef

Politische Dimension

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Dass ihr Auftreten und ihr Sieg auch politische Dimensionen haben könnte, hofft die Drag Queen und schärfte ihr erstes Sieger-Statement aus Kopenhagen nach: „Es war nicht nur ein Sieg für mich, sondern ein Sieg für die Menschen, die an eine Zukunft glauben, die ohne Ausgrenzung und Diskriminierung funktionieren kann.“ Ob damit auch Russlands Präsident Wladimir Putin gemeint sei? „Ja, unter anderem.“

Dennoch seien verschiedene Geisteshaltungen nicht an Ländergrenzen festzumachen. Wurst: „Es gibt auch in Russland Ecken, in denen ich sehr willkommen bin.“ Schließlich erhielt sie aus dem Land, in dem ihr Auftritt im Vorfeld kritisiert wurde, sogar fünf Wertungspunkte.

Conchita sorgte allerdings auch nach ihrem Sieg in Russland für heftige Reaktionen. Das Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie erwartet – ein Mädchen mit Bart“, schrieb etwa Vizeregierungschef Dmitri Rogosin auf Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa in "grenzenloser Empörung" gar den Untergang voraus (mehr Reaktionen aus Russland siehe unten).

Mit negativen Kommentaren dieser Art setzt sich die Gewinnerin nicht auseinander. „Das ist für mich jetzt genauso belanglos, wie es vorher war.“ Angesichts des Muttertags hatte sie auch einen Tipp für Eltern parat, „wie sie das ihren Kindern erklären sollen. Es ist sehr einfach: ,Weißt du, mein Schatz, es gibt Menschen, die sind einfach ein bisschen bunter als andere, und das ist ein junger Mann, der gerne Frauenklamotten trägt und der dafür nicht ausgelacht werden möchte.’“

Stolz zeigte sich beim Pressegespräch ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, dass Conchita Wurst nicht nur zur „Queen of Austria“, sondern zur „Queen of Europe“ gekrönt worden sei. Die Austragung des 60. Song Contests sei „eine Chance für ganz Österreich“. ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner versprach per Aussendung eine „fulminante Show aus Österreich“. Das Land sei „stark und flexibel genug dieses Pop-Friedensprojekt auszurichten“.

Auf die Frage, wo man die aufwendige Show veranstalten könne, scherzte Conchita Wurst: Ihr Heimatort Bad Mitterndorf würde ihr gefallen, „ich räume schon mal meine Garage aus.“ Jedenfalls werde sie im kommenden Jahr entspannter auf der Bühne stehen. Als mögliche Gastgeberin hatte sie sich noch in der Siegesnacht ins Spiel gebracht. Und wie die nähere Zukunft aussieht? „Heute abschminken und schlafen, und morgen – was ist morgen für ein Tag?“

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Conchita Wurst wurde bei der Ankunft in Schwechat von Tausenden Fans erwartet
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Conchita Wurst, die "Bearded Lady" setzte sich gegen 25 Kandidaten aus ganz Europa durch.

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