Zuckerbrot für Kinder, Peitsche für Arbeitslose

Kurz will so seine erste Testwahl bestehen. Gefahr droht derzeit aber nicht von Türkis, sondern Blau.
Josef Votzi

Josef Votzi

Kurz will mit Doppelbotschaft Stimmung für erste Testwahl machen: Zuckerbrot für Kinder, Peitsche für Arbeitslose.

von Josef Votzi

über das ÖVP-Drehbuch zum Regierungsstart

Zum Wochenende sympathieheischende Bilder aus dem Élysée-Palast mit dem französischen Mister Slim-Fit, Staatspräsident Macron. Zu Wochenbeginn Good News für Hunderttausende Kinder. 14 Tage vor der ersten Testwahl für Türkis-Blau in Niederösterreich sind aus dem Hause Kurz nicht radikales Sparen oder Kahlschlag im Förderdschungel, sondern Wohlfühl-Nachrichten angesagt. Mit 1500 Euro Steuerbonus für jedes Kind wollte Sebastian Kurz gleich nach Regierungsstart bei seinen Wählern punkten. Und gleichzeitig alle Gegner, die bereits überall Zeichen gefühlloser neoliberaler Kälte ausmachen, fürs Erste in Schach halten. Der Milliarden-Geldregen für Mittelschicht-Familien (sie profitieren am meisten vom künftigen Bonus) ist zum einem dem Wahlkalender geschuldet: Nach Niederösterreich am 28. Jänner stehen im Februar, März und April auch Landtagswahlen in Tirol, Kärnten und Salzburg an. Drei der vier sind für Kurz’ weiteres Parteistanding wichtige Kernländer der ÖVP.

Das Drehbuch der ersten Regierungswochen hat aber auch viel mit Kurz’ politischer Biografie zu tun. Er war ein Teenager, als sich Wahlverlierer Wolfgang Schüssel 2000 mithilfe Jörg Haiders kaltblütig vom dritten Platz zum Bundeskanzler aufschwang. Während Schüssel vom Ballhausplatz aus die Republik mit eiserner Hand umbaute, machte Kurz seine ersten politischen Schritte als ÖVP-Jungfunktionär. Und musste bald mitansehen, wie sein Idol spektakulär am Vorwurf der sozialen Kälte scheiterte. Der kaltschnäuzige Umgang des ÖVP-Kanzlers mit dem im Wahlkampf 2006 breit diskutierten Pflege-Engpass war entscheidend für das jähe Ende von Schwarz-Blau.

Das Schüssel-Trauma des Sebastian Kurz

Kurz zog daher auch im vergangenen Herbst sofort die Notbremse, als Christian Kern die "Pflegefalle" neu aufstellen wollte und die Abschaffung des Pflegeregresses zu einem zentralen SPÖ-Wahlkampfthema machte. Der bislang übliche Zugriff auf das Vermögen von Pflegeheim-Bewohnern zur Finanzierung offener Pflegekosten wurde aber noch vor der Wahl mit Kurz’ ausdrücklichem Segen abgeschafft. Mit den Folgekosten in gut dreistelliger Millionenhöhe fürs Budget wird sich nun der neue türkise Finanzminister herumzuschlagen haben. Denn die mehrheitlich schwarzen Landeshauptleute pochen auf das Versprechen, dass der Bund ihnen den großen Einnahmenentfall ersetzt.

Zuckerbrot für Mittelstands-Familien und Peitsche für Arbeitslose unter "Durchschummler"-Verdacht. Das ist offenbar die Doppelbotschaft, mit der Kurz nun gute Stimmung für seine Partei bei den kommenden vier Landtagswahlen machen will. Widerstand droht ihm derzeit dabei (noch) nicht von Schwarz oder Türkis, sondern von jenen Blauen, die nicht zu Unrecht um ihre Klientel fürchten. Einschnitte beim Arbeitslosengeld bis hin zum angedrohten staatlichen Zugriff auf Haus oder Sparbuch treffen vor allem blaue Anhänger.

Der Widerstand von FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger und erste kritische Wortmeldungen von FPÖ-Politikern, die auch bald im Landtagswahlkampf stehen, waren hier erst der Anfang. Sein Schüssel-Trauma wird Sebastian Kurz mit dem "Familienbonus" so allein nicht loswerden. Es wird ihn, mal in Türkis, mal in Blau, noch länger politisch in Atem halten.

Kommentare