Wozu noch eine Sozialdemokratie?

Personalfragen sind einfach zu klären, aber wie die SPÖ in der Industrie 4.0 bestehen kann, weiß niemand.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Personalfragen sind einfach zu klären, aber wie SPÖ in der Industrie 4.0 bestehen kann, weiß niemand.

von Dr. Helmut Brandstätter

über die Parteikrise

"Es ist ein Alarmsignal, dass nur noch 32 % der Bevölkerung den Sozialdemokraten Lösungen in Fragen der sozialen Gerechtigkeit zutrauen. Wir sind eine emotional ermüdete Partei", erklärte der Parteichef. Und weiter: "Dieser Ansehensverlust ist existenziell." Also sprach Vizekanzler Sigmar Gabriel, laut deutschen Medien schwer angeschlagener Chef der SPD. Diese schonungslose Selbstanalyse zeigt zunächst, dass die Probleme der SPÖ nicht einmalig sind.

Man kann jetzt die akademische Frage stellen, ob Faymann sich gerettet und der SPÖ geholfen hätte, wenn er nach einer der vielen Wahlniederlagen zu so einem deutlichen Befund gekommen wäre. Aber im Kanzleramt ist es, wie stets an der Spitze, einsam. Und gerade SPÖ-Länderchefs, die zu Hause großteils mäßig erfolgreich sind, gehören nicht zu den Mutigen im Land. Lange ließen sie den Parteichef im Unklaren, dass sie schon an personellen Alternativen bastelten. Ernsthafte inhaltliche Vorstellungen für die ebenfalls "emotional ermüdete Partei" hätte ohnehin niemand von ihnen erwartet.

Die Sozialdemokratie war eine Reaktion auf die ökonomischen Verhältnisse infolge der industriellen Revolution. Karl Marx analysierte den Kapitalismus, Viktor Adler und andere erreichten sehr viel: Vom Wahlrecht bis zur Beteiligung am Gewinn und der sozialen Absicherung der Arbeiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Sozialdemokratie in Europa für den Aufbau des Wohlfahrtsstaates. In der digitalen Wirtschaft zählt aber nicht mehr unbedingt die Beherrschung der Produktionsmittel, sondern Innovation, Geschwindigkeit und Flexibilität. Die Finanzierung der sozialen Sicherheit durch Steuern auf Arbeit neigt sich im Roboterzeitalter dem Ende zu. Da muss eine moderne Sozialdemokratie ansetzen, aber die Rezepte von gestern waren zu erfolgreich, um sie einfach beiseitezuschieben.

Faymann hinterlässt eine ausgelaugte SPÖ

Faymann wurde im Sommer 2008 SPÖ-Chef und im Dezember 2008 Kanzler. Dazwischen lag die Kernschmelze der Lehman Brothers. Er begann also mit einer Weltwirtschaftskrise und geht nach Monaten einer europäischen Flüchtlingskrise, während in ganz Europa die Volksparteien erodieren. Es gab leichtere Aufgaben in der Zweiten Republik. Sein Fehler: Sich auf den Boulevard zu verlassen. Der kassiert, wo es geht, und schreibt inzwischen schon ergeben für die FPÖ.

Der abrupte Abgang hinterlässt die SPÖ orientierungslos, vor allem im Umgang mit den Flüchtlingen und mit der FPÖ. Seine klare Ablehnung der erstarkten FPÖ hätte er auf Dauer ohnehin nicht durchhalten können, die SPÖ ist so ausgelaugt, dass sich viele vor den Freiheitlichen schlicht fürchtet. Und noch positiv: Faymann war lernfähig. Der Anti-EU-Brief in der Krone im Jahr 2008 war ein Fehler, als Kanzler wurde er ein "glühender Europäer", wie er einmal im KURIER sagte. Dass ein geschlossenes Land verarmen würde, erkennt hoffentlich auch der Nachfolger, auf den wir jetzt ein Woche warten müssen.

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