Hört! Einander! Zu! Im TV und auch sonst

Die Spitzenkandidaten werden aufeinander und auf uns einreden. Auf Argumente einzugehen wäre besser.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Die Spitzenkandidaten werden aufeinander und auf uns einreden. Auf Argumente einzugehen wäre besser.

von Dr. Helmut Brandstätter

über den Wahlkampf

"Das Gehirn ist das Organ, mit dem wir denken, dass wir denken." Was US-Autor Ambrose Bierce vor mehr als 100 Jahren aufgeschrieben hat, gilt noch immer. Unsere Entscheidungen werden oft vom "Bauch" bestimmt, wie der Volksmund sagt, in Wahrheit vom limbischen System, also dem ältesten Teil des Gehirns, wo Bilder gespeichert und Emotionen abrufbar sind. Darauf baut die Werbung, vor allem im Fernsehen, schon lange, und auch die Wahlkämpfe sind fast nur mehr auf Gefühle und die emotionale Ausstrahlung von Personen aufgebaut.

Die sogenannten sozialen Medien, die zunehmend auf bewegte Bilder setzen, spielen hier eine wachsende Rolle. Alle Parteien verbreiten ihre Videos über Facebook, ja zahlen sogar österreichisches Steuergeld an einen US-Konzern, der hier keine Steuern zahlt – wie sehr die Buchungen der Parteien dort offengelegt werden, müssen und werden wir uns noch ansehen. Facebook ist übrigens ein Unternehmen ohne Ethik und Moral, ohne jeden Genierer. Das Stichwort heißt "Targeting", also Werbung zu genauen Zielgruppen zu bringen, egal, wie diese sich zusammensetzen. Wer an ausgesprochene "Judenhasser" gezielt Werbung platzieren will – und das gab es – ist durchaus willkommen – bis Facebook dabei erwischt wird (siehe Seite 13).

Da es bei diesen Bilderstorys nur um Emotionen geht, taucht die Frage nach Tal Silberstein noch einmal auf. Wie kann man sich an eine Person ausliefern, die gar nicht spüren kann, was hier los ist? Die SPÖ hätte bei der FPÖ nachfragen sollen, das neueste Strache-Filmchen zeigt, dass dieser Autor etwas von Österreich versteht.

TV-Diskussionen sind kein Boxkampf

Aber noch wichtiger wird das Fernsehen – jedenfalls bei den Älteren – weil wir auch hier mit Emotionen überhäuft werden. Davon sollten wir uns nicht überrollen lassen. Zunächst müssen wir beobachten, mit welcher Mischung aus (gespielter) Freundlichkeit und vielleicht echter Aggression Frau Lunacek und die Herren einander in den kommenden Wochen behandeln werden. Und interessant wird auch, wer überhaupt bereit ist, zuzuhören. Jemand, der das nicht ist, sollte unser Land sicher nicht führen. Im Idealfall würden die Politiker wie die mittelalterlichen Scholastiker diskutieren, wo der zweite Redner die Argumente des ersten wiederholen musste, um zu beweisen, dass er sie verstanden hat und bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das ist zwar zeitaufwendig, würde uns Zusehern aber einen Erkenntnisgewinn bringen. Wir dürfen nie vergessen, dass zwei oder drei der Diskutanten nach der Wahl gemeinsam regieren müssen. Wer argumentiert ehrlich und nachvollziehbar, wer zeigt Kompromissbereitschaft, wie sie Politik nun einmal braucht? Wer kann zuhören?

Die Dreierkonfrontation am Freitag in Linz war nur der Einstieg, aber es war schon zu spüren, dass jeder vor allem seine Botschaften parat hatte. Unsere Aufgabe wird der tägliche Faktencheck der Aussagen und Parolen sein. Denn versprochen wurde uns schon allzu viel.

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