Der Österreicher Angst vor Europa

Die Propaganda gegen den angeblichen Superstaat wird vor den EU-Wahlen lauter. Aber was fürchten wir?
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Es hat wohl kein anderes Land in so kurzer Zeit so radikale Brüche erlebt wie Österreich.

von Dr. Helmut Brandstätter

über Österreichs Identität

Wenn, wie am vergangenen Dienstag, der neu gewählte Nationalrat zusammentritt, ist das eine Freude für politische Floristen. Die SPÖ-Abgeordneten schmückten sich diesmal mit roten Rosen, was deutlich nobler wirkt als die traditionellen Nelken. Die ÖVP blieb bei ihren weißen Rosen, laut Bild der Frau stehen diese für Treue und Unschuld – können aber auch das Gegenteil bedeuten. Die Freiheitlichen wollten mit ihren Kornblumen natürlich nicht an die illegalen Nazis der 1930er-Jahre erinnern, sondern an die (deutsche) Freiheitsbewegung von 1848. Und die Grünen brachten Basilikum, das kann man auch nach der Sitzung verwenden. Lieber bunt als Rot-Weiß-Rot?

„Es gibt kein geschichtliches Gebilde in Europa, dessen Existenz so sehr mit den Identitätsproblemen seiner Mitglieder verbunden ist wie Österreich,“ schreibt der Historiker Friedrich Heer im Standardwerk „Der Kampf um die österreichische Identität“. Zwar wurde aus dem Land, das nach dem Ersten Weltkrieg nur mehr ein Rest war, den keiner mehr wollte, und das sich selbst nicht für überlebensfähig hielt, nach dem Zweiten Weltkrieg eine ökonomische Erfolgsgeschichte. Aber die Suche nach der Identität blieb mühsam. Heute zweifeln nur mehr wenige an der österreichischen Nation, während noch in den 1960er-Jahren eine Mehrheit nicht an sie glauben wollte. Hängt die zunehmende Angst vor Europa damit zusammen, dass das kleine Österreich so lange gebraucht hat, um sich selbst zu finden?

Schwierige Vergangenheit – Angst vor Europa

Es hat wohl kein anderes Land in so kurzer Zeit so radikale Brüche erlebt wie Österreich. Der Erste Weltkrieg beendete 1918 nicht nur die Monarchie der Habsburger, sondern auch den Versuch, einen Vielvölkerstaat zentral zu verwalten. Die Interpretation des Bürgerkriegs von 1934 spaltet noch heute Sozialdemokraten und Christdemokraten, Liberale, die sich nicht als deutsch-national verstehen, tun sich bis heute bei uns schwer, und für die Aufarbeitung der Rolle der Österreicher im Nazi-Reich mussten wir auf Kurt Waldheim warten.

Wenn es in Internet-Foren, auch auf kurier.at, um die Europäische Union geht, bricht oft ein Hass auf, der nur durch Angst und Unsicherheit zu erklären ist. Da ist schnell vom „Völkerkerker“ die Rede, oder von einer „Diktatur nach dem Vorbild der Sowjetunion“. Abgesehen davon, dass die Autoren solcher Sprüche offenbar keine Ahnung vom realen Schrecken früherer kommunistischer Systeme haben, ist die Radikalität bedrückend. Wie muss jemand drauf sein, wenn er so etwas schreibt?

Weil gerade so viel von Schulreformen die Rede ist: Jeder weiß, dass diese dringend notwendig sind. Aber eine große Gefahr liegt darin, dass man den Schülern noch mehr Gegenstände vorsetzen will. Dabei wäre vor allem ein besserer Geschichtsunterricht wichtig. Der Historiker Friedrich Heer:„Man kann aus der Geschichte lernen, aber nur, wenn man sie kennt.“

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