Der deutschen GroKo fehlt die große Idee

Martin Schulz hat von seiner Partei die Zustimmung erbettelt, mit Merkel regieren zu dürfen. Aber wofür?
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Martin Schulz hat von seiner Partei die Zustimmung erbettelt, mit Merkel regieren zu dürfen. Aber wofür?

von Dr. Helmut Brandstätter

über den SPD-Parteitag

Wenn das Fernsehen etwas kann, dann Emotionen transportieren. Die Argumente, mit denen SPD-Chef Schulz bei seinen Delegierten um eine Zustimmung zu Koalitionsverhandlungen warb, waren nicht schlecht. Aber der kurzzeitige Hoffnungsträger der deutschen Sozialdemokraten wirkte bei seiner Rede mehr verzweifelt als überzeugend. Während der Abstimmung blickte Schulz dann nur mehr ängstlich um sich. Der SPD-Chef hat jetzt den Auftrag zu Verhandlungen mit der Union, aber sein Parteitag und die TV-Zuseher haben einen Mann gesehen, der völlig verunsichert war und mehr bettelte als kämpfte.

Dabei hat nicht nur Deutschland zugesehen. Schulz hatte schon recht, ganz Europa hat an diesem Sonntagnachmittag in die ehemalige deutsche Hauptstadt Bonn geblickt. Würden rund 650 SPD-Delegierte ihr gesamtes Führungsteam blamieren, für Neuwahlen sorgen, damit auch Angela Merkel wahrscheinlich in Pension schicken und den europäischen Diskussionsprozess, den der französische Präsident Emmanuel Macron angestoßen hat, weiter verzögern? Immerhin knapp 44 Prozent der Delegierten wollten das, ihnen war alles lieber als ein "Weiter so". In der einst stolzen SPD mussten gestern zu viele Delegierte betonen, dass sie ja stark und selbstbewusst auftreten könnten. Sie wussten aber selbst, dass das nicht stimmt. 20 Prozent bei der letzten Wahl und noch weniger in allen Umfragen, das zeigt den dramatischen Zustand der deutschen Sozialdemokraten.

Hauptthema: Neue Arbeitswelt

Aber der Parteitag hatte auch sein Gutes. Die SPD führte ganz offen klare inhaltliche Debatten über die großen Zukunftsthemen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, bis vor kurzem selbst noch eine GroKo-Gegnerin, sprach von den "Arbeitern in der Computer-Cloud", um die die SPD sich genau so kümmern müsse wie um die in den Fabriken. Und da sei Aus- und Weiterbildung die wichtigste Aufgabe. Einen Aufbruch in eine neue Bildungspolitik verspricht auch Schulz. Große Ängste, ausgelöst durch die Globalisierung und die radikale Veränderung der Arbeitswelt, haben gerade ehemalige SPD-Wähler nach rechts, zu den einfachen, nationalistischen Antworten getrieben. Nur neue Ausbildungswege können ganz konkrete Chancen, vor allem für junge Menschen, bieten.

Die SPD hat ihre Hausaufgaben nun fast erledigt. Sie muss aber noch klären, wer in der Führung noch Vertrauen hat. Martin Schulz eher nicht, 56 Prozent Zustimmung reichen kaum für eine Legislaturperiode. Angela Merkel wiederum muss mehr als nur ein "Weiter so" anbieten, vor allem auch der eigenen Partei, wo sich die Nachfolger bereit machen. Sie wird erklären müssen, wofür ihr neues Kabinett stehen soll. Und sie muss der SPD bei den Verhandlungen ab Dienstag so viele Zugeständnisse machen, dass die 440.000 Mitglieder dem Regierungsvertrag zustimmen. Diese Hürde hat die neue Große Koalition nämlich auch noch vor sich.

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