Daten, Umfragen und Angst vor Ehrlichkeit

Politik ist auch ein oft emotionales Geschäft, wozu die Betroffenen aber nur selten stehen. Aus Angst.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Emotionen zeigen, das lassen Frauen und Männer in der Politik manchmal bei Amtsantritt und oft beim Abschied zu: Jubel, Umarmungen, Tränen. Da wirken sie dann für einen kurzen Augenblick echt, zwischendurch wird eine "Authentizität" antrainiert, die genauso fremd wirkt wie dieser Ausdruck. Und entsprechend befremdlich wirken Politiker bei vielen Auftritten, also meistens, weil ihr Leben ja inzwischen ständig öffentlich ist, und sei es nur über die (un)-sozialen Medien. Aber warum ist Ehrlichkeit in der Politik so selten? Und ist sie wirklich gefährlich? Verlangen die Wähler vielleicht sogar nach einer Show, einem Unterhaltungsprogramm? Diese Fragen werden uns noch mehr beschäftigen, weil die Personalisierung der Politik noch weiter gehen wird, während die Inhalte in den Hintergrund geraten. Und sage niemand, daran seien nur die Medien schuld. Die Inszenierung betreiben schon die Spindoktoren und Daten-Tüftler in den Parteien.

Womit wir bei einer wichtigen Beobachtung sind. Der damalige SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha trug schon in den 1970er-Jahren mit Umfragen, Zielgruppenuntersuchungen und der Sammlung von Daten zur Steuerung der Politik von Bruno Kreisky bei. Inzwischen sind die Methoden vielfach verfeinert worden, mit künstlicher Intelligenz werden die natürlichen Wünsche von unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung berechnet. Der offensichtliche Widerspruch: Eine zunehmend emotionalisierte Gesellschaft wird in Datensammlungen zerlegt, um dann punktgenau angesprochen zu werden. Da die Gefühlsschwankungen zu unserer Gesellschaft gehören, kommen die Rechenkünstler oft zu spät – und wundern sich über falsche Umfragen.

Alte Programme für die Zukunftsfragen

"Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar", hat die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gemeint, aber stimmt das auch? Und was ist die Wahrheit? Richtig ist, dass jede Regierung heute starke Einschränkungen hat. EU-Vorschriften und hohe Schulden geben dem Budget enge Rahmen, die Globalisierung ist ein Faktum und die Digitalisierung mit allen Konsequenzen für Produktion und Arbeitsplätze wird eher schneller voranschreiten. Also müsste die Politik deutlich sagen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Unsere Parteien beziehen ihre Gesellschaftsmodelle auf den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, aber die Nöte unserer Gesellschaft sind völlig andere. Programmdiskussionen interessieren auch unter den Funktionären nur eine kleine Gruppe, aber sogar die junge grüne Partei leidet darunter, dass sie in den letzten Jahren ihre Orientierung zwischen Umweltschutz und Sozialpolitik verloren hat.

Wenn alles so schwierig ist, warum klammern dann so viele Politiker so lange an ihren Ämtern, dass uns die Rücktritte dieser Tage so erstaunen? Weil Parteien bei allen Intrigen doch noch einen Halt geben und das Gefühl der Macht vielleicht die schönste Emotion ist. So entsteht auch die Angst vor der Ehrlichkeit.

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