Beatrix Karl ist kein Einzelfall

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Beatrix Karl ist kein Einzelfall

von Michael Hufnagl

über Seelenhygiene bei Politikern

Seit gestern Abend sage ich mir, dass ich nichts darüber schreiben mag, weil es mich so aufregt. Deshalb schreibe ich jetzt darüber. Es muss sein. Der Auftritt von Justizministerin Beatrix Karl in der ZiB2 zu der Vergewaltigung eines 14-Jährigen in der Justizanstalt Josefstadt hat mich ausnahmsweise - man ist ja viel gewöhnt - zu sehr bewegt, zu sehr verstört, zu sehr erzürnt. Dabei geht es mir aber nicht um irgendwelchen Parteien-Verkehr, um Wahlkampf-Getöse, um links-rechts-oben-unten, um schwarz-rot-blau-grün-wasweißich. Mir geht es um einen Menschen. Um eine Frau, die sich in ihrer staatstragenden Funktion in ein TV-Studio setzt und dort in läppischen neun Minuten all das offenbart, was mich an der Politik so anwidert.

NLP-Marionetten und Parteiroboter

Liebe Politiker, Ihr übertrainierten NLP-Marionetten und gefühlsverstümmelten Parteiroboter: Könnt Ihr wirklich nicht mehr Ihr selbst sein? Wo ist Euer Herz? Eure Empathie? Eure Sensibilität? Wo ist die Ehrlichkeit? Das Gewissen? Die Emotion? Wo auf Eurem Weg habt Ihr mit der Seelenhygiene aufgehört? Ja, ich verallgemeinere. Ein Effekt, den ich mir ausnahmsweise gestatte. Denn Beatrix Karl ist kein Einzelfall. Aber ihr Auftritt war so entlarvend, dass mir mitunter richtig übel wurde. Was ist das für eine Ministerin, die wiederholt von einem ("mehr als bedauerlichen") Einzelfall spricht und dabei die vielen gegenteiligen Fakten verdrängt? Was ist das für eine Ministerin, die im Stakkato ihrem grandios verbesserten System huldigt und dabei völlig die Betroffenheit aus den Augen verliert (sogar die gespielte)? Was ist das für eine Ministerin, die sagt "Strafvollzug ist kein Paradies" inklusive "Die Zustände waren noch nie so gut wie jetzt" und uns damit Ansätze von "Selber schuld" suggeriert? Die hinter der Maske von Erklärung und Rechtfertigung so viel Zynismus und Verachtung verbirgt?

Gruselige Einblicke

Was ist das für eine Ministerin, die beschwichtigend erklärt, sie sei keine Sozialromantikerin und "niemand kann eine Garantie abgeben, dass ein solcher Fall nicht mehr passiert", statt ihre Verantwortung klar und deutlich zur Sprache zu bringen und zu sagen: "So etwas darf in einer Demokratie, in einem Land Österreich, in meinem Zuständigkeitsbereich nie mehr passieren, und dafür werde ich kämpfen"? Was ist das für eine Ministerin, die ihrem Interviewer live vor Hunderttausenden Zusehern ins Gesicht sagt "Ich habe erst heute davon erfahren" – und sich dann stotternd aus der peinlichen Affäre ziehen will? Was ist das für eine Ministerin, die auf die Frage von Armin Wolf, ob sie sich schon entschuldigt hätte, zu lachen beginnt? Die gar nicht mehr aufhört zu grinsen (ob es Hohn oder eine unbewusste Übersprungshandlung war, sollen Experten erläutern)? Die nicht die Größe hat, im Namen der Republik ihrer Rolle gerecht zu werden, sondern wie ein trotziges Kind erklärt: "Ich entschuldige mich gerne bei ihm, aber ich sehe hier nicht meine Schuld darin."? Was ist das für eine Ministerin, die auf die simple Frage nach einer Entschädigung allen Ernstes und ohne Nachdenkpause sagt: "Das kann ich juristisch nicht beurteilen."? Die gleich danach das sprechmethodische Themenwechsel-Programm in der perfidesten Auslegung offenbart - "Das muss man sich genau ansehen, das werden wir uns genau ansehen, aber mir geht's jetzt wirklich einmal darum ..." Die sich nicht dabei geniert, die neuerliche Entschädigungsfrage mit "Das muss erst geprüft werden, bitte ich kann als Justizministerin nicht da sitzen und mit dem Geld um mich werfen" aus der Welt schaffen zu wollen? Um dann gütig und gönnerhaft abzuschließen mit: "Und wenn die Prüfung ergibt, dass so etwas möglich ist, gerne"? Eine Entschädigung für einen 14-Jährigen, der in der Obhut des Staates vergewaltigt und schwer verletzt wird, ist ein saloppes "So etwas"? Sprache kann so verräterisch sein. Sie kann so gruselige Einblicke gewähren. Sie kann eine Psyche in rasender Geschwindigkeit offen legen?

Moralische Gratwanderung

Beatrix Karl war gestern Abend kalt. Eine launige Spaziergängerin am moralischen Grat. Eine Politikerin, die eilig und obsessiv damit beschäftigt ist, in erster Linie sich, ihre Partei und ihr System zu verteidigen. Dabei darf sie sich auf gar keinen Fall einen Fehler zugestehen. Und genau daran krankt dieser ganze Apparat. Er ist von Zurückweisung, Projektion und Ignoranz zerfressen und menschlich ausgehöhlt. Er erlaubt keine Tränen, aber er lacht uns aus. Er kotzt mich an. Ob Beatrix Karl als Konsequenz eines symptomatischen Handelns zurücktreten soll, ist mir einerlei. Ich fordere gar nix. Ich wünsche mir nur eine dringend notwendige Investition, von mir aus auch gerne aus Steuergeld: Liebe Politikerinnen und Politiker, kauft Euch Spiegel und schaut Euch an!

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