Alles Vollholler – oder nur sehr kompliziert?

Plötzlich Ja zu Schule neu, aber neuer Streit um Flüchtlinge: Kern und Kurz sind auch hier einander näher als sie tun.
Josef Votzi

Josef Votzi

Alles Vollholler oder was? Kurz und Kern sind einander im Streit um die Mittelmeerroute näher als sie tun.

von Josef Votzi

über das neue Wahlkampfthema Flüchtlinge

Schulautonomie, Cluster, Modellregionen.... Es war längst das Thema, bei dem bald alle die Ohren auf Durchzug schalteten und seufzten: Geh’ bitte, einigt euch, oder lasst es bleiben! Aber belästigt uns nicht mehr mit jedem Beistrich, der euch gerade wieder neu gegen den Strich geht.

Scheitern war aber vor allem für einen verboten. Ab sofort gilt daher, was an dieser Stelle vor einer Woche prognostiziert wurde: Wir sind Augenzeugen eines glücklichen Zufalls – eines Interessenabtauschs in letzter Minute, mit dem alle sehr gut leben können. Kurz’ "neue ÖVP" musste es wie der Teufel das Weihwasser meiden, in der Lebensfrage Schule "als alte Partei der Blockierer" dazustehen. Kerns SPÖ kann sich auf die Fahnen heften, ausgerechnet im schwarzen Vorarlberg die Gesamtschule endlich flächendeckend testen zu dürfen. Und die Grünen hatten eine Woche lang Zeit, zu zeigen, dass sie zu haben sind – aber nicht gleich beim ersten Date.

Der Rest war beinharte Inszenierung, dem längst laufenden Wahlkampf geschuldet: Die Verkündigung der Einigung eine Stunde vor Start einer Sondersitzung, bei der die Neos mit der Schulpolitik abrechnen wollten. Vor allem Grün und Schwarz hatten ein Interesse, die für sie besonders lästige Konkurrenz zu blamieren.

Fluchtweg Mittelmeer schließen, aber wie?

Vom jüngst vom Kanzler neu befeuerten Streit um die Flüchtlingspolitik profitiert aber allein einer, der derzeit am liebsten am Spielfeldrand steht – Heinz-Christian Strache. Rot und Schwarz liegen sich in der Sache näher, als der "Vollholler"-Sager des Kanzlers suggeriert. Österreich macht gemeinsam mit anderen EU-Staaten schon länger Druck für eine effektivere Kontrolle der EU-Außengrenzen entlang der EU-Südgrenze inklusive Mittelmeer-Route (siehe Seite 4). Auch Christian Kern "ist nicht gegen die Mittelmeerrouten-Schließung". Er "will nur eine Antwort, wie es geht". Der Kanzler hatte so jüngst bei Staatspräsident as-Sisi vorgefühlt, ob Ägypten noch mehr tun könne, als Flüchtlingsboote erst gar auslaufen zu lassen und aufgegriffene Ägypter wieder zurückzunehmen. Ergebnis: Die Ägypter wollen und können angesichts einer halben Million Flüchtlinge im Land nicht mehr tun.

Kern weiß so aus eigener Erfahrung: Wann, wenn nicht hier, gilt der legendäre Satz von Fred Sinowatz, dass "alles sehr kompliziert" ist. Der Kern des Ärgers des SPÖ-Kanzlers dürfte daher ganz woanders sitzen: Warum gelingt es Kurz noch immer, bei diesem komplexen Thema so simpel positive Schlagzeilen für sich machen zu können. Der Kanzler war klug genug, diesen Frust nur in einem Hintergrundgespräch zu artikulieren. Als Die Presse den Sager (nach eigenem Bekunden "versehentlich" ) publizierte, ließ sich Kern breitschlagen, die ganze "Vollholler-Passage" zur Veröffentlichung frei zugeben.

Zurück bleibt nun eine widersprüchliche Botschaft, die im Wahlkampf noch eine große Rolle spielen könnte: Kern hält die Forderung nach Schließung der Mittelmeerroute für einen "populistischen Vollholler". Wenn es denn aber ginge, wäre auch er – Holler hin oder her – voll dafür.

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