Ein Fehler, Erdogan zu früh abzuschreiben
Wer Erdogan zu früh abschreibt, begeht einen Fehler.
Der autoritäre „Sultan“ reagierte so, wie er immer reagiert, wenn er in der Defensive ist: voller Gegenangriff. Nach einer massiven Korruptionsaffäre, in die auch Regierungsmitglieder verwickelt sein sollen, tauschte der türkische Premier Erdogan fast die Hälfte seiner Minister aus und stellte ein „Kriegskabinett“ zusammen. Dieses soll den „Umsturzversuch aus dem Ausland“ niederschlagen, hinter dem die USA und Israels stünden. Das ist natürlich Quatsch.
Das wahre Ringen spielt sich zwischen Erdogan und dem islamischen Prediger Fethullah Gülen ab, der in den USA lebt. Seine Anhänger betreiben in der Türkei Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Medienhäuser. Sie haben großen Einfluss auf den Polizei- sowie Justizapparat und den Korruptionsskandal an die Öffentlichkeit gebracht. Das heißt: Ein Machtkampf zweier islamistischer Alpha-Tierchen, die einst Schulter an Schulter gegen die Säkularen und das Militär marschierten und jetzt erbitterte Feinde sind. Damit ist das System Erdogan erstmals ernsthaft bedroht. Seine AK-Regierungspartei droht von innen zu erodieren, erste Austritte gibt es bereits.
Und der (einst) so „starke Mann vom Bosporus“? Der beschwört die Einheit und erinnert an den Unabhängigkeitskampf vor der Staatsgründung 1923. Das wird ihm auch nicht helfen, das Image der AKP als „saubere Kraft“ ist dahin. Erdogan selbst ist es möglicherweise noch länger nicht, denn das Wort aufgeben kennt er nicht. Sollte es noch dicker kommen, könnte der alte Fuchs alles auf eine Karte setzen und Neuwahlen ausrufen (regulär 2015). Kalkül: Die Opposition ist schwach, und ob sich ein zweites islamisches Lager schnell organisieren kann, fraglich.
Wer Erdogan zu früh abschreibt, begeht einen Fehler.
Kommentare