Kurz zeigt Kanten
Auffällig ist auch, dass Kurz vor lauter Diplomatie nicht in Diplomatensprech verfällt.
Sitzungen des Europarates werden von Außenämtern oft nur mit hohen Beamten beschickt und bestenfalls mit Kurzmeldungen gewürdigt. Der österreichische Außenminister, der turnusmäßig gerade den Vorsitz führt, machte aus einem Nebenschauplatz für einen Tag eine Bühne der Europapolitik. 30 Außenminister reisten zum Europarats-Meeting in Wien an. Im Kalender stand offiziell eine Jubiläumsfeier. Tatsächlich ging es einmal mehr um die Dauerkrise in der Ukraine.
Greifbares Ergebnis gab es keines. Aber in Zeiten, wo vor der Haustüre der EU ein Land in den Bürgerkrieg taumelt, ist es schon viel, "einen Gesprächskanal zu bieten" (Kurz). Das brachte dem jungen Außenminister schon im Vorfeld nicht nur Aufmerksamkeit und Applaus in renommierten internationalen Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Auffällig ist auch, dass Kurz vor lauter Diplomatie nicht in Diplomatensprech verfällt. "Die Schuldfrage ist klar zu beantworten: Russland hat mehrfach Völkerrecht gebrochen", formulierte Kurz gestern ohne Wenn und Aber am Rande der Konferenz: "Wir verurteilen die russischen Aggressionen." Erst durch die Annexion der Krim und jetzt, weil Russland "Einfluss nimmt, um eine stärkere Eskalation in der Ostukraine zu fördern oder zumindest zuzulassen". Kurz zeigt damit einmal mehr Kanten auf heiklem Terrain. Die Mehrheit der Österreicher will, dass sich Österreich aus dem Ukraine-Konflikt total raushält, so die jüngste OGM-Umfrage für den KURIER. Nur jeder Fünfte ist etwa dafür, das Verhalten Russlands mit politischen oder wirtschaftlichen Sanktionen zu beantworten.
Als Integrationsstaatssekretär ist es Kurz gelungen, einen neuen, sachlicheren Ton in die Ausländer-Debatte zu bringen. Als Außenminister hat er den härtesten Job im Inland noch vor sich: Eine Mehrheit dafür zu gewinnen, dass ängstliches Raushalten keine politische Tugend ist.
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