Deutschland wird diese Krise überleben

Aber einige führende Politikerinnen und Politiker werden bei den nächsten Wahlen keine Rolle spielen.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Eine Regierungskrise, wie sie Berlin erreicht hat, beunruhigt die Deutschen mehr als andere Nationen.

von Dr. Helmut Brandstätter

über die mögliche Neuwahl in Deutschland

Beim Nachrichtensender n-tv gab es gestern früh das große Stirnrunzeln. Wie werden vor allem ausländische Investoren auf die Regierungskrise reagieren? Und was bedeutet das vorläufige Ende der Stabilität in Deutschland? Der deutsche Aktienindex DAX werde wohl ein paar Tage leiden, dann werde man ja sehen, so die Stimmung. Denkste, ach nee, alles anders. Nur kurz duckte sich der DAX weg, dann stiegen die Kurse, Volkswagen legte mit einer neuen Elektromobilitätsstrategie ganz besonders zu. Eine Regierungskrise, wie sie Berlin erreicht hat, beunruhigt die Deutschen mehr als andere Nationen.

Die Gründerväter der Bonner Republik berücksichtigten in der neuen Verfassung, dem Grundgesetz, die Erfahrungen der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1933. Neun Wahlen und 20 Regierungen bis zu Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933, das rief nach Mechanismen für stabilere Zustände. In der Bundesrepublik kann die Kanzlerin nur durch ein "konstruktives Misstrauensvotum", also einen Nachfolger abgesetzt werden, und der Bundestag kann sich nicht selbst auflösen. Umso wichtiger ist in dieser Situation das Staatsoberhaupt, sonst bestenfalls ein Staatsnotar. Da trifft es sich, dass mit Frank-Walter Steinmeier ein Sozialdemokrat Bundespräsident ist, der schon vor dem Wochenende seine Ablehnung schneller Neuwahlen ausgedrückt hatte. Steinmeier will die Genossen überzeugen, doch noch in eine große Koalition zu gehen, große inhaltliche Differenzen sind nicht vorhanden. Das wäre wohl das Ende von Parteichef Martin Schulz, der aber vielleicht auch Neuwahlen nicht überleben wird. Mit Olaf Scholz stünde ein populärer Hamburger Bürgermeister als Kanzlerkandidat bereit, mit Andrea Nahles und Manuela Schwesig zwei starke, sehr unterschiedliche Frauen.

Jamaika – stand für nichts, außer für Streit

Und Angela Merkel? Sie will jede interne Diskussion verhindern, indem sie gestern erklärte, sie werde bei Neuwahlen sicher wieder antreten. Aber es liegt ein Stück Schuld für das Scheitern bei der Kanzlerin, auch wenn die FDP den Tisch verließ. Die große Koalition konnte sie als ruhige Moderatorin führen, bei der auf den ersten Blick unmöglichen Kombination aus ihrer breiten Union, den recht linken Grünen und der nach gut verdienenden Bürgerlichen schielenden FDP hätte Merkel die Gemeinsamkeiten suchen und daraus ein klares Projekt machen müssen – so nach dem Motto: Jamaika, das moderne Deutschland. Da fehlte ihr die Fantasie.

Wenn sich die SPD weiter verweigert, könnte Bundespräsident Steinmeier eine Minderheitsregierung versuchen. Merkel will das nicht, hat sie gestern gesagt. Das wäre für Deutschland ein erstmaliges Experiment und würde so gar nicht zu diesem geordneten Staat passen. Steinmeier und Merkel werden schnell klären müssen, ob es diesen Versuch einer Regierung ohne Mehrheit geben wird. Und wenn nicht, wie der Weg zu Neuwahlen aussehen kann.

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