wunder WELT: Piefke!

wunder WELT: Piefke!
Joachim Lottmann lässt sich diskriminieren.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Im " Zielpunkt" sitzt ein junger Mann aus Pakistan an der Kasse. Ich mag Ausländer. Aber dieser hier hat die Melone falsch berechnet. Ich sage es ihm und er schaut mich genervt, ja hasserfüllt an. Er muss aufstehen, zum Chef gehen, den Storno-Schlüssel holen, alles rückgängig machen, wieder neu eintippen, die Ermäßigung berücksichtigen und so weiter. Ein blöder Mehraufwand. Echt Scheiße das alles. "Sorry ...", sage ich. Er reagiert nicht. Ich wiederhole: "Es tut mir leid. Aber nun haben wir's ja." Er presst die Lippen zusammen. Er sagt kein Wort. Es war sein Fehler, aber er entschuldigt sich nicht. Hinter mir ist die Schlange auf 25 Leute angewachsen. In Deutschland hätte mir jetzt jeder Kassierer die Füße geküsst, mindestens. Plötzlich überkommt es mich, mal so richtig den Deutschen zu geben. Vor Publikum. So sage ich zum Geschäftsführer, der immer noch in Reichweite ist, aber doch so weit weg, dass ich laut sprechen muss: "Ihr Mitarbeiter hat mich beinahe betrogen. Er sollte dafür die Verantwortung übernehmen." "Woos?!", fragt der Chef. Ich wiederhole den Satz. Die anderen Kunden murmeln bereits, schauen mitleidig auf den Mann an der Kasse. Der Chef schmettert: "Die Verantwortung hob' immer no i!" Jetzt bin ich ganz "in der Rolle", wie die Schauspieler sagen. Ich recke mein Kinn vor und mache meine Stimme schneidend: "So? Dann entlassen Sie den Mann und zwar un-ver-züg-lich!" Nun rumort es aber wirklich in der Menge. Die Leute reden solidarisch auf den jungen Mann ein oder rufen anonym von hinten. Das meiste ist Mundart, aber ich verstehe die Gesten auch so. Sie ergreifen seine Partei! Ich höre Worte wie "deppert" und "der Deitsche", auch "Piefke". Ja, wahrlich, ich höre erstmals, sozusagen live, dieses sagenumwobene Unwort: Piefke! Mit dem Chef einige ich mich nun rasch. Kaum lenke ich ein, wird auch er handzahm. Wir sind in Österreich. Nur die Kunden fraternisieren weiter mit dem Exoten ... Ein Mal diskriminiert werden im Leben, das wollte ich tatsächlich immer schon.

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