wunder WELT: Aida-Test

wunder WELT: Aida-Test
Joachim Lottmann über den Unterschied zwischen Kaiserstraße und Praterstraße.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Gestern Nachmittag machte ich den Aida-Test. Erst die Aida in der Kaiserstraße. Was hatte sie, was andere Aidas nicht haben? Die Kaiserstraße ist dort recht still. Innen noch mehr. Also, da herrscht eine fast majestätische Untätigkeit, in dem kleinen Raum, und die Kuchentheke ist angestrahlt wie ein Altar. Die meist alten Menschen wollen ihre Ruhe haben, sogar die Serviererinnen. Die kommen nicht von alleine, wenn man sie nicht ruft. Eine alte Frau mit blauem Lidschatten liest die Kronen Zeitung und telefoniert mit einem, der ihr erklärt, was sie gerade liest. Sehr seltsam. Eine ungeheure, surreale Helligkeit fällt auf, in der kleinen Puppenstube, wie in einem David-Lynch-Film. Die Aida in der Praterstraße ist mindestens drei Mal so groß. Hier ist es innen eher dunkel, während draußen der Großstadt-Feierabend-Verkehr vorbeigleitet. Elegante Limousinen sieht man, das absurd-hässliche Praterstern-Denkmal, den missglückten postmodernen Bahnhof, das erleuchtete Riesenrad, vor allem aber gut gelaunte Menschen, die von der Arbeit kommen. Die Aida-Kunden hier sind nicht still und alt, sondern lachen raumfüllend und erzählen im breiten Dialekt, den ich als Deutscher nicht verstehe. Sicher erzählen sie Geschichten, die sozusagen das Leben schrieb. Die Serviererinnen tragen unter den rosa Kostümen billige Gummilatschen. Ein Uralt-Feschak mit zurückgegelten langen grauen Haaren unterhält mühelos drei füllige Pensionistinnen. Die Leute reden über das Theater, Familiendinge, Sachen aus der Zeitung. Alles ist rosa, auch die Steine am Boden und die Servietten. Eine Wand ist zur Gänze verspiegelt, was den vorbeiflanierenden Prostituierten sicher gefällt. Hier am Prater sind sie seit Jahrhunderten, sollen aber bald in Nichtwohnviertel abgedrängt werden. Fazit: Die Aida in der Praterstraße ist der von der Kaiserstraße um Längen überlegen. joachim.lottmann(at)kurier.at

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