Kollektive Lüge

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über einen Hurenfilm und "Freudenhäuser".
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Ich war mit der Maria im Kino, Juliette Binoche in "Das bessere Leben", ein Hurenfilm. Tja, eigentlich ein Oswald-Kolle-Film, falls das noch jemand erinnert, so ein verlogener Tabubrecher-Streifen. Es gibt ja diese großen kollektiven Lügen in der Menschheitsgeschichte, etwa "Krieg ist ehrenhaft und toll", das zog sich 2.500 Jahre durch unsere Kultur. Noch Goethe hätte das glatt unterschrieben. Wo doch jeder weiß, dass das Quatsch ist. Ebenso die Sache mit dem "ältesten Gewerbe der Welt". Jeder

Mann, der einmal bei einer Hure war – also jeder – weiß, dass dort der Platz allen Elends der Welt ist. Das ist so evident, dass niemand, der es ernst meint, darüber auch nur zu diskutieren BEGINNT. Trotzdem gibt es diese kollektive Lüge vom "Freudenhaus". Vor allem Frauen stellen sich diesen Ort immer wieder romantisch vor. In immer neuen Filmen, gern mit künstlerischem Anspruch, wird von der sexuell befreiten Bürgerin fabuliert, die alle Fesseln abstreift und sich tabufrei dem hemmungslosen Laster hingibt. Mit hohlem Pathos reitet man in allen Stellungen gegen "verklemmte Spießer" an. Oft kommentiert noch aus dem Off die ernste Stimme eines Sexualwissenschaftlers (Dr. Kolle) oder Philosophen (Michel Houellebecq) die bumsfidele Lage.

Auch die Maria war diesmal wieder hingerissen. Sie mag diese Filme, und Juliette Binoche ist ja auch eine sogenannte große Schauspielerin.

Ich verwies gähnend auf Catherine Deneuve, die als "Belle de Jour" der noch größere Heuler war, schon vor zwei Generationen. Die Maria glaubt, ich fände Bordelle superspannend, sei aber zu spießig, das zuzugeben. Das sei die bürgerliche Doppelmoral, in der auch ich gefangen sei! Ich schwieg genervt und diszipliniert und beharrlich, bis wir wieder

zu Hause waren, sagte endlich: "Machst uns jetzt einen Obstsalat, Schatzi?"

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