Gold Rolex

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über das Feilschen am Bosporus.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Ich war ein Wochenende in Istanbul. Ja, das ist heute ganz einfach. So ein Flug kostet hundert Euro, und dann kauft man so billige Sachen dort ein, dass man sogar den Flugpreis wieder reinholt. Der Hammer war eine Rolex, die für 3.000 türkische Lira im Grand Bazaar gegenüber der Hagia Sophia angeboten wurde. In Wien zahlt man für so eine Gold Rolex ein Vielfaches, zwischen 3.000 und 30.000 Euro. Ein Euro entspricht etwa zwei Lira. Die Maria war erst dagegen, dass ich sie kaufe. So viel Geld für eine Uhr? Ich hatte doch schon eine. Wir streiften weiter durch den labyrinthischen Basar, wurden pausenlos von Händlern angesprochen (angequatscht wäre das bessere Wort). Dabei entdeckte ich dieselbe Rolex noch einmal. Von den Händlern hatten sich viele auf Markenuhren spezialisiert. Dieser Händler bot die Rolex für unfassbare 300 Lira an. Ich zeigte Interesse, woraufhin wir nach innen gebeten wurden und man die Uhr auspackte und vorführte. Beim Rausgehen rief uns der Mann Preiskorrekturen hinterher. "Two hundred seventy! ... Two hundred fifty!..." Wir nahmen einen türkischen Kaffee. Der Kellner fragte uns, wonach wir suchten, und ich nannte spaßeshalber die Uhr. Zum Glück war sein Bruder im Uhrengewerbe. Wir wurden zu ihm geführt. In einem Hinterzimmer öffnete dieser einen geheimnisvollen Koffer. Inhalt: meine Gold Rolex, 50 Exemplare, das Stück 150 Lira. Ich ging als Erster, die Maria blieb bei dem Mann. Nach zehn Minuten kam sie nach, ganz aufgeregt: "Stell dir vor, ich habe ihn auf SECHZIG LIRA heruntergehandelt!" Sie schrie fast. Nachts trafen wir unter der Bosporusbrücke Migranten aus Afrika, die Feuer machten, Tee anboten und alles mögliche verkauften, Nüsse, gebratene Maroni, angestaubte Handtaschen, Rolex-Uhren. Ich sah sie wieder, meine Uhr, an jedem zweiten Stand, für zehn Lira. Ich habe sie nicht gekauft. Ich bin doch nicht blöd.

joachim.lottmann(at)kurier.at

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