Fruchtbecher

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über das Ende der Eissalon-Saison.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Der Eissalon am Schwedenplatz hat zugesperrt. Niemand ist darüber so traurig wie ich. Andere mögen winters wie sommers ins Kaffeehaus gehen – ich ging jeden Nachmittag in meinen Eissalon am Schwedenplatz. Dort aß ich einen " Fruchtbecher". Das waren sieben verschiedene Fruchtsorten plus ganz viel Eis: Vanille, Erdbeer, Banane, Schokolade. Mir reichte das nicht, und ich flüsterte meist zu Jasmin, meiner Lieblingskellnerin, sie möge noch zwei, drei Kugeln dazutun. Da der Früchte so viele waren, brauchte es mehr Eis, um das Gleichgewicht aus Frucht und Eis zu wahren. Sie verstand das und brachte einen doppelt so großen Becher, ein undefinierbarer Glasbehälter, in dem dann noch mehr Früchte schwammen. Mehr Früchte, mehr Eis, mehr Schlagobers, mehr Erdbeersoße, herrlich.

Das war mein Mittagessen. Sonst brauchte ich nichts. Nur manchmal, selten eigentlich, ging ich nachts noch spazieren und lenkte meine und die Schritte der Maria erneut in Richtung Schwedenplatz. Dann bestellte ich den zweiten Fruchtbecher. Jasmin verdrehte die Augen. Zum Abschied sind wir sogar noch Facebook-Freunde geworden. Aber das nützt mir herzlich wenig. Die Eisbomben kann man ja nicht digital versenden. Sie wohnt nun in Tirol und isst ihr Eis alleine. Alle sind sie in den Bergen jetzt, die ganze Familie Molin-Pradel, die den Eissalon 1886 gründete. Kein Scherz. Das Unternehmen ist seit fünf Generationen in Familienbesitz. Und immer kommen die Leute nur im Sommer nach Wien. Im Winter sitzen sie in Zoldo, ihrem Heimatdorf in Südtirol. Sie sprechen perfekt Deutsch, lieben Wien und die Wiener, also ihre Kunden, also mich, aber Zoldo muss sein. Ich stelle mir das für mich vor: im Sommer Wien, im Winter Berlin, wo ich herkomme. Das wäre ja eine doppelte Verurteilung. Nicht nur in der denkbar trostlosesten Verbannung leben, sondern – natürlich – auch noch fruchtbecherlos!

joachim.lottmann(at)kurier.at

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