Autofahren statt Radfahren

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über das schöne Leben als Autofahrer.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Ich bin gern Autofahrer, gebe das auch zu. Mit 17 hat mir mein Vater einen VW geschenkt, um mich zu motivieren, den Führerschein zu machen. Als ich nach 17 Stunden durchfiel, ist Papi mit mir auf die Wiese gefahren, hat mich im Auto gelassen und ist ins Dorf gegangen, zum Wirtshaus. Abends sollte ich ihn abholen, mit Auto. An dem Tag habe ich Autofahren gelernt. Seitdem liebe ich das.

Die Maria dagegen verachtet es, ein Auto zu besitzen. Sie fährt mit den Öffis, aus Überzeugung. Das diene der Allgemeinheit oder so. Es sei unverantwortlich, dass jeder Idiot eine Tonne Schrott durch die Straßen jagen dürfe. Deshalb hatten wir jetzt ein halbes Jahr kein Auto. Eine furchtbare Zeit. Ich quälte mich durch die U-Bahnen, rauf und runter, tausend Rolltreppen, alles unterirdisch und hässlich, und alle fünf Minuten umsteigen. Was für ein elendes Leben! Man starrt fremden Leuten ins Gesicht, fühlt die Leere ihrer Existenz. Ich bin aber lieber mit Schriftstellern oder Freunden im Café. Es war dann total anstrengend, die Maria umzustimmen. Ich musste schließlich das umweltschonendste Serienfahrzeug des Marktes kaufen, Hybrid und so weiter, sauteuer. Fünf Mal teurer als ein kleiner Polo ohne das Getue. Aber egal.

Nun gehöre ich wieder zu den Autofahrern statt zu den Radfahrern. Bin nicht mehr Opfer, sondern Täter, wenn man das so sagen darf, sozusagen gefühlt oben statt unten. Selig schwimme ich im Großstadtverkehr. Das Radio spielt meinen Lieblingssender: den ganzen Tag die Top Twenty und sonst nichts. Die Maria mag das nicht. Wenn sie dabei ist, hören wir wertvolle Sprachkassetten, zum Beispiel Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" oder die Brecht-Gesamtausgabe. Ganz toll. Ich schaue solange den langbeinigen Radfahrerinnen zu, wie sie sich ärgern. Zum Beispiel wenn es regnet. Ist die Straße frei, rufe ich ihnen etwas zu und gebe Gas. Ist das Leben nicht schön? 

joachim.lottmann(at)kurier.at

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