Ein Dorf inmitten einer weiten Wildnis

Ernst Molden

Ernst Molden

Als wäre Erdberg ein Dorf inmitten einer weiten Wildnis, der Rest von Wien eine Halluzination.

von Ernst Molden

über Hitze, Theater und den Wasserleichen-Bossa-Nova

Unlängst saß ich mit meiner Band und dem großartigen Schauspieler Heribert Sasse im trotz Schatten brütenden Schanigarten des Erdberger Apostelstüberls. Sasse und ich aßen jeder schweigend das herausragende Pljeskavica des dortigen Wirten, tunkten das gehackte Fleisch tief in den Ajvar ein, die erprobte Jugo-Antwort auf große Hitze. Wir mussten zwei Songs für ein Gruselstück proben, das wir im Herbst im Rabenhof spielen werden. Heribert Sasse muss in dem Stück unter anderem einen Bossa Nova über Wasserleichen singen. Mein Vertrauen in ihn ist groß, er kann es schon jetzt ganz gut, weswegen die Probe gleichmal mit dem Pljeskavica-Essen begann. Ich weiß, dass so alte Theaterfreibeuter wie der Sasse drei Tage vor der Premiere von der Krankheit des Gelingenmüssens befallen werden, weshalb der Wasserleichen-Bossa-Nova in jedem Fall leiwand wird. Heiß ist es hier und jetzt! Carpe pljeskavicam! Das Fleisch war vertilgt, wir saßen noch ein wenig und rauchten. Ich kniff die Augen zusammen und sah, wie die Apostelgasse in der Hitze flimmerte. Ich mag ja den Gedanken, dass die meisten meiner Kunden so wie ich in Erdberg sitzen, was mir das Gefühl von Autarkie und von Small-is-beautiful verleiht. Als wäre Erdberg ein Dorf inmitten einer weiten Wildnis, und der Rest von Wien eine Halluzination. Gut, auf den KURIER trifft’s nicht zu, der sitzt im Siebten. Aber im Theaterbereich stimmt’s. Der Rabenhof, eh, sowieso. Aber auch das superlässige, interventionistische Straßentheater der Susita Fink. Und natürlich das Lilarum, das Puppentheater aus der Göllnergasse. Da sind sie, die Bretter, die Erdberg bedeuten.Vom Lilarum muss ich übrigens grad hören, dass es nicht so super rennt. Da reg ich mich sofort auf. Wien ist doch, das sehe ich, voller kluger junger Eltern mit kleinen Buberln und Mäderln. Hört mich an: Ich spreche hier als Papa, dessen drei Kinder Theater eben nicht unsympathisch oder unverständlich finden, weil sie im Lilarum mit seinen herrlichen Puppen und seiner wunderbaren Sprache sozialisiert wurden. Okay, jetzt haben sie zu, aber im Herbst: Gemma! Klausi und Mausi rulen. Und sie sitzen in Erdberg.

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