"Bis heute hat sich keiner bei mir entschuldigt"

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Benkö erinnert sich an den 30. Juni 2000, "als wenn der gestern gewesen wäre".

von Wolfgang Winheim

über ein denkwürdiges EM-Spiel

Bald wird wieder mehr getreten, geraunzt und gestritten. Wenn die Punktejagd beginnt in Europas Ligen, in denen es disziplinloser zugeht als bei der EM. Nur drei Ausschlüsse in 50 Spielen, oft weniger als 20 Fouls pro Match. Verglichen mit dem Vereinsfußball ist die EURO ein Treffen von Musterknaben. Das war nicht immer so. So veranlasst gerade die heutige Pariser Finalpaarung zu einem Blick zurück.

FrankreichPortugal!

Bei der EM 2000 in Brüssel waren die beiden Nationen schon im Semifinale aufeinandergeprallt. Danach erhielt der Österreicher Günter Benkö für seine Wahl zum besten EM-Schiedsrichter von der UEFA eine Ehrenmedaille und aus Portugal monatelang die bösesten Briefe. "Sogar die Ausrottung der Familie wurde mir angedroht."

Benkö erinnert sich an den 30. Juni 2000, "als wenn der gestern gewesen wäre". Zumal er einen Elfer geben musste, ohne das Vergehen gesehen zu haben.

Referee mit Piepser

"Bis heute hat sich keiner bei mir entschuldigt"
BRU58-20000628-BRUSSELS, BELGIUM: Portuguese midfielder Abel Xavier argues with Austrian referee Gunter Benko after he gave France a penalty shoot following a hand by Abel Xavier during the Euro 2000 semi-final soccer match between France and Portugal in Brussels Wednesday 28 June 2000. France won 2-1. (ELECTRONIC IMAGE) EPA PHOTO / SRDJAN SUKI

118. Minute der Verlängerung, Spielstand 1:1: Der portugiesische Verteidiger Abel Xavierhechtet einen scharfen Flankenball ins Torout. Benkö ist die Sicht verstellt, er nimmt an, "der Xavier hat das mit der Brust gemacht". Er will auf Eckball für Frankreich entscheiden, als ihn sein AssistentIgor Srankaper Piepserl (Headsets für Referees gab’s damals noch nicht) alarmiert. "Mein Oberarm vibrierte. Ich hab’ gedacht: Ist der Kollege jetzt deppert geworden so knapp vor Schluss?" Jedoch: Der Slowake hatte als Linesman dank eines besseren Blickwinkels von seiner Seite aus das Handsvergehen gesehen .

Benkö gibt den Elfmeter, den Zinédine Zidane zum Golden Goal nützt. Damit ist Frankreich im Finale. Und ganz Portugal außer sich.

"Bis heute hat sich keiner bei mir entschuldigt"
BRU64-20000628-BRUSSELS, BELGIUM: Portuguese team argues with Austrian referee Gunter Benko after a penalty shoot was given to France during the overtime of the Euro 2000 semi-final soccer match between France and Portugal in Brussels Wednesday 28 June 2000. France won 2-1. (ELECTRONIC IMAGE) EPA PHOTO / SRDJAN SUKI

Xavier wird handgreiflich,Nuno Gomeswill Benkö die Rote Karte entreißen. "Nur mit Personenschutz haben wir gerade noch die Kabine erreicht." Um 3 Uhr früh sieht Benkö im Hotel-TV, dass Assistent Sranka die Rettungsaktion von Xavier richtig erkannt und er, Benkö, richtig entschieden hatte.

Vier Mal muss Benkö als Zeuge zur Disziplinarkommission nach Genf, wo Abel Xavier eine Neun-Monate-Sperre ausfasst. Der bleibt uneinsichtig. Auch vom Verband hat sich, sagt Benkö, nie wer entschuldigt.

Sperren und Prügel

Was aber ist aus den Hauptdarstellern des größten EM-Wirbels des neuen Jahrtausends geworden?

Der drogerieblonde Xavier musste noch öfters Haare lassen. In England verlor er seinen Job bei Everton. Bei Middlesbrough wurde er nach einem UEFA-Cup-Spiel als Dopingsünder entlarvt und erneut (diesmal für ein ganzes Jahr) gesperrt. Danach wechselte er in die USA und später auch Namen und Religion. Nachdem er als Trainer in Portugal drei Mal scheiterte, engagiert sich Faisal alias Xavier im sozialen und humanitären Bereich.

Sranka geriet in seiner slowakischen Heimat in eine Manipulationsaffäre und – in die Fänge der Wettmafia. Er wurde vor seinem Haus spitalsreif geprügelt.

Der frühere Spitalsbedienstete Benkö gehört dem Sportamt der burgenländischen Landesregierung an. Und ehrenamtlich noch der Schiedsrichterkommission. In letzterer Funktion darf er zwar EM-Schiedsrichter loben, nicht aber ohne ÖFB-Genehmigung öffentlich über die österreichischen Pfeifenmänner reden. Somit wird auf zensurierte Statements gepfiffen.Tatsache ist,

... dass seit acht Jahren, seit Konrad Plautz, kein österreichischer Referee mehr zu einer EM oder WM durfte;

... dass die EM-Schiedsrichter Autorität ausstrahlen und es bei der EURO 2016 zu ungleich weniger Fehlpfiffen kam als befürchtet;

... und dass sich in Österreich ebenso wie die Jung-Referees auch die Spieler hinsichtlich Auftreten viel von der EM abschauen können.

Kurzschlussgefahr

In Frankreich haben die EM-Spieler quer durch die Nationen auffallend schaumgebremst und fair auf schmerzhafte Tritte und heikle Entscheidungen reagiert. Oder soll man die EM nicht vor dem finalen Abend loben, an dem nach der Pfeife des g’lernten englischen Elektrikers Mark Clattenburg getanzt wird? Und einem Topstar vielleicht doch noch die Sicherungen durchbrennen?

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