Der Zauber des Zeugnistags

Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

ein kollektives Aufatmen, dem sich keiner entziehen konnte, sich keiner entziehen wollte.

von Anna-Maria Bauer

über die Magie des Zeugnistags

Es war immer ein ganz eigenes Gefühl, das der Zeugnistag mit sich brachte. Eine Mischung aus Aufregung und Überdrehtheit, weil mit einem Mal zwei Monate vor einem lagen, in denen alles möglich schien. Man würde aufbleiben bis zum Sonnenaufgang, Luftschlösser bauen und von der Sonne und der Langweile langsam und träge werden. Dazu kam ein leicht mulmiges Gefühl der Bodenlosigkeit, weil das Gerüst des Schulalltags wegbrach.

Als ich später als Studentin in einem Eisgeschäft in Mauer jobbte, war der Zeugnistag - neben dem ersten Schultag (der zur Aufbruchstimmung auch noch und den Geruch des Herbsts im Gepäck hat) - stets meine liebster Arbeitstag. Der Hauptplatz vibrierte dann vor Aufregung, Stimmengewirr und Gelächter. Das ganze Grätzel schien auf den Beinen, schien sich zu kennen, gemeinsam über das vollbrachte Jahr zu lachen. Wieder einmal geschafft, für die meisten alles gut gegangen, der Sommerurlaub vor der Tür. Es war ein kollektives Aufatmen, dem sich keiner entziehen konnte, dem sich auch keiner entziehen wollte.

Dieses Jahr werde ich am Zeugnistag wieder einmal ein wenig aufgeregt sein. Mein zehnjähriges Maturajubiläum steht an. Ein Treffen, das ich mir schon in der achten Klasse lebhaft ausgemalt habe. Allerdings als ein Event, das weit, weit in der Zukunft stattfinden würde. Wenn ich dann mit fast 30 Jahren Ehemann, Haus und Kinder haben würde. Wenn ich mein Leben geregelt hätte und wüsste wohin mein Weg geht.

Von wegen.

Vielmehr scheinen die Dinge, die schwarz oder weiß sein sollten, in alle erdenklichen Grautöne zu zerfallen. Das sichere Gerüst, das Kinder in Erwachsenen vermuten, das, muss man sich eingestehen, gibt es so nicht. Das Leben lässt sich nicht so einfach kategorisieren und es gibt auch keinen Zeugnistag. Erwachsene wissen tatsächlich genauso wenig, wohin der Weg geht. Sie haben nur gelernt, bewusst Entscheidungen zu treffen, die vielleicht, die hoffentlich in die geplante Richtung führen.

Aber wahrscheinlich ist das auch gut so. Wer will denn schon fertig sein?

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