Auf ein stilles Tänzchen

Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

Ein Anzeichen für das Ausbreiten einer sich abschottenden Kopfhörer-Gesellschaft? Nein!

von Anna-Maria Bauer

über Gehsteigdiscos

Der vielleicht religiöseste Platz Wiens befindet sich in der Josefstadt. Auf dem Jodok-Fink-Platz gibt es nämlich nicht nur die Piaristenkirche und eine Immaculata-Säule, sondern hier sind auch die Schanigärten über Kreuz.

Das Café Maria Treu, das sich an der rechten Ecke befindet, hat seinen Garten schräg links. Kellner der Pizzeria linker Hand wiederum bewirten die Gäste im Gastgarten auf der rechten Seite.

Seine wahre Schönheit entfaltet der Platz jedoch in der Nacht, wenn die Gastgärten längst leer sind und die Kirchen- und Häuserfassaden von den Straßenlaternen so beleuchtet werden, dass sie sich besonders malerisch vom Nachthimmel abheben.

Vielleicht war auch Veranstalter Oliver Hangl von diesem Anblick angetan. Jedenfalls hielt er kurz nach der zweiten Jahrtausendwende genau hier die erste Gehsteigdisco ab; eine Party, bei der die Musik aus dem Kopfhörer kommt. (Per Knopfdruck können die Gäste zwischen der Musik von zwei DJs wechseln.) Zufällige Passanten bekommen von der Musik dabei lediglich etwas mit, wenn einer der Tanzenden laut mitsingt. Kommenden Samstag ist es übrigens wieder so weit.

Aber die Kopfhörer dieser sogenannten "Silent Discos" sind nicht nur in Österreich, sondern quer über den Globus in aller Ohren. Ein Anzeichen für das Ausbreiten einer sich abschottenden Kopfhörer-Gesellschaft? Denn ob in der U-Bahn, im Großraumbüro oder beim Joggen im Park, die Zukunftsmusik scheint sich in Ohrstöpseln zu abspielen.

Und doch ist hier etwas anders. Ja, man würde annehmen, dass eine Veranstaltung, bei der alle Anwesenden durch Ohrstöpseln von der Umwelt abgeschnitten sind, das Zusammengehörigkeitsgefühl nicht sonderlich fördert. Doch das Gegenteil ist der Fall: Man beobachtet die anderen Tanzenden umso genauer, überlegt, ob sie wohl zur selben Musik tanzen oder den anderen DJ-Kanal gewählt haben und fühlt sich wie durch eine unsichtbare Kraft verbunden. Und so können sich trotz Kopfhörer die Wege der Tanzenden kreuzen.

annamaria.bauer@AnnnaMariaBauer

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