"Virginia, willig und Geil"

sex IN DER FREIZEIT: 19 Mal pro Tag
Der Begriff "Sexkino" hat Patina – viele gibt’s nicht mehr von der Sorte. Obwohl dort angeblich die Kinosessel "täglich gereinigt" werden. Ein guter Grund, in die Vergangenheit zu reisen. In die Zeit des legendären Rondell-Kinos – als die Bilder noch vögeln lernten.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Unlängst bin ich etwas melancholisch geworden – bei der Lektüre einer Geschichte im KURIER. Ihr Titel: "Ein Vormittag im Erotik-Kino: Harte Kost auf leeren Magen". Darin beschrieb der Autor seinen Lokalaugenschein im Erotic Cinema in Währing: "9,50 Euro Eintritt kassiert Michele – pro Mann. Paare und Frauen schauen gratis. Heute im großen Saal auf dem Spielplan – Reverse Gang Bang". An der Kassa gibt’s Taschentücher. Dazu Beruhigendes vom Kino-Chef: "Die Sessel werden jeden Abend gereinigt."

Ich kenne das Lichtspieltheater vom Vorbeifahren und wundere mich immer wieder, dass das noch gehen kann. Wer bitte sind die Menschen, die hier im Finstern anonym ins Papiertaschentuch onanieren? Ist’s stumme Verzweiflung oder fehlt’s schlicht an der Hardware daheim? Viele Höhepunkte werden es eh nicht mehr sein. Der Währinger Gürtelkino-Chef klagt über rückläufige Geschäfte. Logisch, wo sich heute niemand mehr anziehen und das Haus verlassen muss, um sich einen Porno reinzuziehen. Irgendwie schade – ich erinnere mich gerne an die Hoch-Zeit des Sex-Kinos. Eine Nostalgie des Harmlosen: "Französische Leckereien" (1981, Mariahilf-Kino) oder "Sexuelle Gelüste triebhafter Mädchen" (Schubert Kino, Wien Alsergrund). Das klingt im Vergleich zu aktuellen DVD-Werken mit Titeln wie "Dreiloch durchgerammelt" geradezu poetisch.

Sexkino war Gemeinschaftserlebnis, Erleichterung und genitale Pfadfinderei auf dem Weg zum Erwachsenwerden gleichermaßen. Da war was Verbindendes. Heute ist alles so einsam, so leicht zu kriegen. Damals musste man erst eine Entscheidung treffen ("Koarl, heut schauma Virginia, willig und geil"), dann in die Bim steigen und schließlich eine Kinokarte kaufen. Heute kriegt man den Analverkehr direkt ins Wohnzimmer geliefert. Das ist fad und macht das "Verbotene" zur leicht konsumierbaren Massenware.

Ein Sexkinobesuch war einst ein Höhepunkt – zumindest in den frühen 1970ern. Um diese Zeit gab’s eine "Sexfilm-Welle" – der Jahresumsatz, den die Lichtspiele mit Filmen wie "Ich bin geil" oder "Mazurka im Bett" machte, lag bei 150 Millionen Schilling pro Jahr. Die Inkarnation des "Oagen" war das "Rondl" – das Rondellkino in der Riemergasse, Wien 1. 1976 kostete beim Marktleader eine Karte 23 Schilling plus 9 Schilling für die Sexmodenschau. Anschließend war Pornobar ("Oben-ohne-Service ab 27 Schilling"). Man inserierte: "Das Haus, in dem die Stunden geil sind". Der Chef: Wladislaw Rath, verheiratet, Vater zweier kleiner Töchter. Man durfte dort – im ersten Raucherkino Wiens – während der Onanie auch eine tschicken. Und zu Weihnachten lief für Solisten "Wilde Lust", "Die Nackte und der Sexualverbrecher". Dann: Kinosterben. 1991 titelte "Die Presse": "Erotische Institution am Ende. Wiens erstes, bestes und einziges Pornokino im Konkurs." Zum Abschied schrieb Reinhard Tramontana im profil ein melancholisches Servus über die "Heimstätte der Wichser": "Wenn das Künstlerhaus-Kino das Gehirn der Filmkunst repräsentiert, dann war das Rondell die Pforte zum Scheide- Weg ins Gegenteil." 1993 wurden die Pornokino-Sessel versteigert. Das habe ich leider versäumt. Sonst hätt ich einen.

gabriele.kuhn(at)kurier.at

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