Einmal Primavera, bitte!

Seit fünf Tagen ist er da, der viel geliebte, viel gelobte, vielfach besungene und absolut geile Frühling. Apropos „geil“: Wo Frühling draufsteht, sollte ein wenig Erotik drin sein – das Stichwort dazu: Frühlingsgefühle. Pünktlich zum Start der Freilust-Saison sollten wir sie in allen Körperteilen spüren – aber was, wenn das große Kitzeln ausbleibt?
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Lass uns schmutzig Liebe machen ...

von Gabriele Kuhn

Jetzt sollten wir paarungsbereit und absolut hemmungslos sein - oder?

Na, niesen Sie noch oder vibrieren im Souterrain Ihres Körpers schon die sogenannten Frühlingsgefühle? Frühlingsgefühle, mit Betonung auf beiden ü's. Ja genau, laut Jahreslauf sollten wir seit dem 20. März, exakt um 11 Uhr 28, absolut paarungsbereit und absolut hemmungslos sein, bereit für allerlei Belustigungen und den saisonal passenden Transparent-Look. Frühlingsgefühls-Entschlossene verbrennen jetzt ihre Schals und ordern online Dessous im Blümchen-Look, Gleitgel sowie bunte Kondome. Ich persönlich hab's auch heuer wieder probiert. Hab’ mich hingesetzt, in allen Fasern frühlingsgefühlsbereit und gewartet. Tick tack, Tick tack – doch auch um 11 Uhr 55 Minuten nach Start der neuen Freilustsaison: nichts, absolut nichts. Außer aber sehr deutlichen Hunger. Naja klar, es war ja auch schon knapp mittags. So gegen zwölf bekomme ich regelmäßig Hunger, da reagiert mein Körper wie ein Uhrwerk und raunt: Nahrungszufuhr, jetzt! Nur in Sachen Frühlingsgefühlszufuhr: nada. Ich orderte also weder Kondome noch ähnliche Frühlingsgefühlstrigger-Produkte, sondern eine mittlere Pizza Primavera. Man könnte jetzt sagen: Na klar, mit 56, mein Gottchen, was will die bitte? Doch halt – ich bin damit nicht alleine. Zwanzig Menschen – und zwar allesamt jüngere als ich – habe ich befragt, das ist zwar nicht repräsentativ, aber immerhin. Mit den Augen gezwinkert hab’ ich, lasziv gelächelt, und gesagt: „Na, tut sich schon was?“ Die allesamt jungen Menschen sahen mich an und erwiderten: „Äh, wie meinen?“ Ein irgendwie peinlicher Moment. Auf das frühlingshafte Prickeln in den Lenden oder sonst irgendwo angesprochen, bekam ich nämlich zu 99 Prozent folgende Antwort: „Ganz ehrlich? Ich bin seit Tagen nur müde.“ Müde. Mit Betonung auf das ü. Dann haben die Befragten gegähnt und mich gefragt, wie spät es denn sei. Frühlingsgefühle sind offensichtlich ein rätselhaftes Phänomen, vielleicht sogar ein Mythos. Immerhin existiert ein Wikipedia-Eintrag dazu, da steht: „Frühlingsgefühle, die Wirkung des Frühlings auf den Menschen. Frühlingsgefühle, deutscher Fernsehfilm ZDF (2013)“. Ich habe ja den Verdacht, es gibt sie nur, weil der Mensch nach dem langen, finsteren Winter etwas braucht, an das er sich klammern kann. Zwar bin ich mir sicher, dass sich im Körper der Menschen allerlei verändert, wenn es wärmer und lichter wird, aber nicht bei uns, die nicht den Frühlingsgöttern huldigen, sondern den Fernsehern, PCs, Smartphones und Spielkonsolen. Außerdem: Wenn es Frühlingsgefühle gibt, müsste es wohl auch Sommer/Herbst und Wintergefühle geben. Verordnetes „Hot-sein“ (Sommer), verordnetes Kuscheln (Herbst), verordnetes Zimteln (Winter). Wobei: Zimteln klingt extrem erotisch, zumal hier ein recht großer Interpretationsspielraum zu Winterspielen lockt. Dennoch finde ich die Idee mit den Frühlingsgefühlen herzig. Und auch wichtig, ganz egal, ob das jetzt Humbug ist oder nicht. Denn irgendwie gemahnt uns dieses Konstrukt, dass wir Menschen immer wieder die Chance haben, uns neu zu erfinden und neu zu starten. Also, hoppauf: Vergessen Sie nicht, dass Sie leben, selbst wenn Sie jetzt gerade gähnen. Gehen Sie raus, riechen Sie Erde, schauen Sie den Leberblümchen beim Blau-sein zu, gehen Sie heim und vielleicht – wer weiß das schon – pritzelt jetzt was. Ein Frühlingsgefühl-Molekül – na, immerhin. Wo es doch so schön heißt: „Vere calor redit ossibus“ („Im Frühling kehrt die Wärme in die Knochen zurück“, Vergil). Denn was mit „Knochen“ genau gemeint ist, können wir doch ruhig unserer Fantasie überlassen.

gabriele.kuhn@kurier.at

Kommentare