Die Bitch wachküssen?
Die radikale Wendung innerer Werte – abseits moralisch gängiger Moralvorstellungen. Für so manche Frau ein Befreiungsschlag.
Es gibt so Tage, da schwappen Zweifel tsunamiartig ins Leben. Man wacht auf, es ist Nebel und der Ehemann hat sich in eine spätpubertäre Krise vertschüsst. Man steht auf, geht zum Spiegel und sieht was? Einen Pickel auf dem Hirn – frisch, saftig, goudagelb. Und so, als würde sich das Lebenspuzzle in einem plötzlichen Gedankenstrich zum Hologramm fügen, wird klar: Du hättest besser Pornodarstellerin werden sollen. Statt Sekretärin eines sexuell unterbeschäftigten Chefs und Ex-Ehefrau eines Mannes, der sein Wurzelchakra heftig reanimiert.Irgendwas anderes sein zu wollen, als man gerade ist, scheint ja gerade sehr im Trend. Die Architektin wird Yogalehrerin, die Yogalehrerin wird Stripperin, die Stripperin macht einen Bioladen mit dem Schwerpunkt „Essen für Histaminallergiker“ auf. Das Leben, ein Fluss. Hier scheint auch der Akt sexueller Befreiung dazuzugehören. Aus einst prüden „Ich-vögle-nur-im-Finstern-Damen“ werden zeigefreudige Swingerclub-Stammgäste, die sich den Muschi-Parallelslalom gönnen. Routinierte Swingerinnen wiederum schließen das Tor zur kontaktfreudigen Yoni und probieren’s mal asexuell. Freundin K, zum Beispiel, schmust gerade ihre innere „Bitch“ wach. Nachdem sie entdeckt hatte, dass der Vater ihrer Kinder die Familienbeihilfe regelmäßig in herbe Beautys aus Znaim investiert hatte, war seelisch und genital Flatrate.Aber jetzt: Bitch! Inspiriert durch das neue Buch von Lady Bitch Ray, „Vagina-Style-VS“, als recht eigenwillige Interpretation des Themas „Emanzipation“: „Bitch ist für mich ein durchaus positiver Begriff. Ich verstehe darunter eine selbstbestimmte, souveräne und unabhängige Hure, die häufig ihre Partner wechselt und sich von Männern nicht unterdrücken lässt.“ Überhaupt, so die Lady, „sei es an der Zeit, Alice Schwarzer frischen Wind in die Möse zu pusten.“ Dermaßen inspiriert, hat Freundin K schon mal den Ventilator angeworfen und sich in ein paar einschlägigen Internet-Foren breit gemacht. Nicht nur ihre Mutter, auch ihre konventionell lebenden Freundinnen leiden seither an Schnappatmung, wenn sie der Guten lauschen und kommen mit der neuen Entwicklung schlecht zurecht. Ich gönne sie ihr von Herzen. Denn vielleicht liegt die K ja viel richtiger, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Womit wir wieder beim Beginn dieser Kolumne wären – dem Wunsch nach einem Genrewechsel Sekretärin/Pornodarstellerin. Absurd? Ja – aber! Vor Kurzem las man unter dem Titel „Pornodarstellerinnen sind glücklicher“ auf Spiegel online, dass die Darstellerin der Vaginal-Blockbuster mit ihrem Leben zufriedener sind als allgemein angenommen wird. US-Psychologen fanden heraus, dass die Zeigefreudigen in punkto Liebesspiel, Zahl der Liebhaber (privat), Befriedigungsgrad, Selbstbewusstsein und Freude am Leben gegenüber der Kontrollgruppe besser abschnitten (nur beim Drogenmissbrauch sah es nicht so rosig aus).Ganz sicher ist diese Untersuchung nur bedingt repräsentativ und kein Grund, den Töchtern dieser Welt eine Karriere als Pornostar ans Herz zu legen. Aber – von der Metaebene betrachtet – sind Phasen radikaler Befreiungsschläge wichtig, um wieder zur Mitte zu finden. Der K geht’s übrigens wunderbar.
gabriele.kuhn(at)kurier.at
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