Romantisch. Oder?

Romantisch. Oder?
Um dem Alltag zu entfliehen, setzt sie auf Inszenierung. Ihn lässt das kalt.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Da sind so viele Socken mit Loch – warum?

von Gabriele Kuhn

über Romantik im Alltag

Sie

Der Mann nebenan schreibt zuweilen – Liebesbotschaften auf Post-its. Mit Texten wie "Vasenwasser stinkt, bitte ausleeren". Oder: Da sind so viele Socken mit Loch – warum? Dein Herzkasperl. Nun, der Romantikfaktor einer Ehe ist leicht in eine binomische Formel zu gießen: (Ehe + Jahre)²= Fadesse² + 2malNachlässigkeitmalIgnoranz + Fremdgehgedanken². Heißt: Romantik verflüchtigt sich in Marathonbeziehungen, was oft bleibt ist die Essenz des Seins. Kochen. Essen. Das Leben verdauen. Ich hingegen, ich bin gefinkelt. Ich arbeite hart an der Romantik. Etwa, indem ich zum Frühstück um 6.30 morgens ein Kerzlein entzünde und seine Lieblingssymphonie von Bruckner anwerfe. Oder ihn zu einem Pas de deux im Schnee animiere, indem ich ihm in nichts als meiner Skiunterwäsche vorgewärmte Handschuhe und Haube serviere.

Der Mann nebenan ist da eher inputresistent. Morgens will er in Ruhe gelassen werden: Bitte dreh den Bruckner leise, sonst muss ich ins Kriseninterventionszentrum. Auch mit dem Schneebummel hat er’s nicht so – erkaltet zitiert er Camus: In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt. Als er sich dennoch aufrafft, mit mir durch das Italientief zu wanken, höre ich die blanke Wut: Romantisch, hä? Ich sehe von dir nichts als zwei Nasenlöcher hinter einem schirchen Schal und bei jedem Satz atme ich eine Staublawine ein. Das macht mich melancholisch. Vorgestern entschloss ich mich daher für eine eMail an ihn – den PR-Text eines Fremdgehportals: „Die moderne Frau sucht nach Erlebnissen und will ihre Leidenschaft leben. Wenn sie es nicht zu Hause kann, fürchtet sie nicht, eine Affäre zu suchen.“ Und siehe da – er bewegte sich. Wenig später hatte ich ein Post-it auf dem Kopfpolster picken: Kind schläft auswärts, koche für uns, aber bitte komm nicht in Skiunterwäsche. Na, geht doch.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

„So romantisch“. Ein kleiner Satz mit so großer Bedeutung. Auch in der Variante Sooo romantisch“ oder „Soooooo romantisch“. Für Frauen wohlgemerkt. Männer nämlich sagen so etwas nicht. Männer finden einen Strandspaziergang „lässig“, aber niemals romantisch. Wenn sie es doch sagen, dann nur ihren Ohren zuliebe (und das oft nicht ohne Hintergedanken). Ich betrachte einen Sonnenuntergang oder einen Sternenhimmel als prächtiges Naturschauspiel, durchaus, vielleicht sogar als Spektakel. Und ich nicke dazu. Meine Frau hingegen bekommt glasige Augen und nennt augenblicklich die Wörter „romantisch“ und „damals“ in einem Atemzug. Soooooo romantisch ist nämlich vieles, aber vor allem die Erinnerung. Heute weiß auch sie bei jedem gemeinsamen Glas Rotwein, dass im Übrigen die Flaschen endlich zum Glascontainer gebracht werden müssen.

Umso erstaunlicher ist es daher, wenn sie mich anlässlich dichten Schneegestöbers ausgerechnet mit dem Romantik-Faktor zum gemeinsamen Morgenspaziergang mit dem Hund animieren will. Als würden dicke Flocken, die von Orkanen durch die Landschaft geschleudert werden, meine Aversion gegen ödes Herumstapfen mildern.Es gäbe zweifellos andere Argumente. Zum Beispiel, dass sie ausnahmsweise lieber gemeinsam schweigen will. Oder dass sie mir so gerne tief in die Augen schaut, um mich zu fragen: „Hast Du eh ein Sackerl mit?“Einerlei, ich begleite sie. Weil: Wasweißich? Umgekehrt hingegen ist der Abendspaziergang seit jeher ein rituelles Solo. Sie liegt im Bett, ich beobachte den Hund beim Schnuppern im Schneehaufen. Aber: Sie dankt es mir. Und das wiederum finde ich „romantisch“. Ein bisserl halt.

Twitter: @MHufnagl

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