Paaradox: Weit, weit weg!

Paaradox: Laster-Fahndung
Darf ein Ehemann ohne seine Ehefrau verreisen? Er darf.

Sie

Nein, er soll sogar. Von mir aus auch öfter – ein paar lockere Luftmaschen im dichten Gewebe der Gemeinschaftspraxis können durchaus reanimierend wirken. So lange ich nicht den Flug­hafentaxi-Fahrer geben und winken muss, ist alles gut.

Ungestört

Ein bisschen Absenz hat ja was Entschlackendes. Endlich darf ich mir das TV-Best-of-Böse (Wiederholungen der Schwarzwaldklinik und der Lindenstraße oder die Kasperlpost zum Beispiel) reinziehen, ohne Angst zu haben, in der Sekunde dafür entmündigt zu werden. Endlich kann ich ungestört Musik hören, die er nicht als "Soundteppich für Irrenhausinsassen" einstuft. Chick Corea, Keith Jarett, Fanta 4. Endlich kann ich sinnvoll Sinnloses tun, ohne gefragt zu werden: Was wird das, wenn’s fertig is?Wo ich es doch oft selbst nicht weiß – bzw. gar nicht wissen will ...!

Doch bevor der Mann (endlich – ich weiß, das klingt so gemein, wie es eigentlich nicht gemeint ist) das Weite sucht, gilt es noch eine eheliche Handgranate zu entschärfen: das Pack-Szenario nämlich. Die Suche nach seinen Reiseutensilien beginnt nämlich immer erst bei mir. Gaby, wo ist der Scheiß-Pass? Gaby, wo ist die Scheiß-Windjacke? Gaby, wo ist der mittelgroße Koffer? Die erste Nacht ohne ihn träume ich dann oft davon, dass einer mich anschreit und sagt: Gaby, wo ist die Gaby? Und ich kann ihm darauf keine Antwort geben, weil ich es vergessen habe.

Ganz weg ist er also eh nie. Heute ist niemand ganz weg, wenn er weg ist. Durch SMS und Social Media sind wir beinahe schicksalhaft aneinandergekettet. Ich weiß, ob es "dort" regnet, was er gerade isst, wann er aufsteht, schlafen geht und ob er an mich denkt. Oder an seine 524 Follower – oft einmal weiblich – auf Twitter. Was dazwischen passiert – mein Gott, was soll’s? Hauptsache, er bringt mir was Teures mit.

Wenn er eine Reise tut, dann muss sie vermutlich sehr weinen. Oder auch nicht.

Er

Meine Frau wird es natürlich nicht zugeben. Aber ich weiß, dass es für sie eine Herausforderung ist, wenn ich ohne sie verreise. Und zwar aus drei Gründen:

1. Es ist fad ohne mich. Denn das Betrachten drittklassiger Serien kann unmöglich ein Ersatz sein für das spannende Drehbuch, das ich ihr täglich biete. Das Schweigen, das ihr im Grunde fremd ist, kann keinesfalls eine gewünschte Alternative sein zu einem vor Geist und Witz sprühenden Gesprächspartner, der zufällig und glücklicherweise auch noch ihr Ehemann ist.

Alltag

2. Es ist unpraktisch ohne mich. Denn plötzlich registriert sie die vielen Baustellen des Alltags, die normalerweise ich zuverlässig und lässig bearbeite. Erkennt, welche Souveränität das abendliche Gassigehen oder der geschickte Glühbirnenwechsel eigentlich erfordert.

3. Es ist traurig ohne mich. Denn hinter dem Satz "Genieß die Zeit" steckt sicher die melancholische Wahrheit "Ich werde es arg vermissen, neben dir, der Liebe meines Lebens, aufzuwachen."

Nun, möglicherweise ist es auch anders. Möglicherweise entsprechen die Punkte 1 und 2, allenfalls sogar Punkt 3, nicht ganz jener Realität, die ich in meiner Bescheidenheit erschaffen habe.

Zwicken

Möglicherweise spielen sich an meinem Abreisetag sogar Szenen ab, für die mein Hirn keine Schublade parat hat. Vielleicht köpft sie nach meinem Abschiedskuss einen Piccolo-Champagner, um mit sich auf ein paar Tage Selbstbestimmung anzustoßen. Oder sie zwickt sich lustvoll –, um sicher zu sein, es ist kein Traum, dass die Fragen Wo sind eigentlich ...? und Weißt Du zufällig ...? tatsächlich ungestellt bleiben.

Es ist also nicht völlig auszuschließen, dass die Trennung ohne Weltschmerz passiert. Sondern nur gelegentlich wohltuenden Freiraum bietet.

Na gut. Von mir aus.

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