Paaradox: Einst und jetzt

Paaradox: Laster-Fahndung
Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Eine lange Ehe gilt ja als Gesundheitsvorsorge. Zu Recht. Mit den Jahren wird alles ruhiger. Rasendes Herzklopfen war gestern. Und wenn der Mann nebenan sich seinen Testosteronschub durch auffälliges Balzverhalten holt – geh bitte. Soll er ruhig gockeln, schon wildere Blutdruckkrisen erlebt.

Das Schöne an einer Langzeit-Partnerschaft ist auch, dass man nicht mehr so viel reden muss. Dieses ganze "Was denkst du jetzt"- oder "Warum schaust du so komisch"-Gejeiere ist Geschichte. Ich weiß mittlerweile ja, was er denkt. Ich muss es aber auch nicht mehr so dringend wissen, ich bin gelassener geworden. Wenn mich die Wissbegier trotzdem noch packt, dann frage ich halt nach. Das mag zwar lästig sein, ist aber meine Spezialität.

Buch der Liebe

Aber wie gesagt, das kommt höchstens nur mehr ein Mal pro Woche vor. Früher habe ich das im Stundentakt gemacht. Überhaupt wird der verbale Austausch effizienter. Ich kann mich zum Beispiel noch an die Opulenz seiner frühen eMails erinnern. Ganze Liedtexte kamen da, 100-Zeilen-Oden nur an meine Wimpern. Zu meinem 38. Geburtstag widmete er mir ein ganzes Buch – die von Hand gedichtete Geschichte unserer Liebe. Ich wiederum verschickte eine ganze Faxrolle, wenn er auf Dienstreise weilte. Heute wird eher nur mehr gesmst: Du Hund? Ich Kind? Oder: Du Hund und Kind? Ich Milch, Butter, Brot holen? Auf diese Art werden die großen Fragen des Liebeslebens erörtert und gelöst: Was essen wir heute? Wer geht zum Elternabend? Und wieso ist unser Konto schon wieder so überzogen?

Nur manchmal, wenn der Mann nebenan in der Ferne weilt und ich nicht gleich ans Telefon gehe, wenn er mich anruft, bricht etwas von der alten Leidenschaft durch. Der Liebste smst plötzlich ganze Sätze: Wo bist du? Ich kann ohne dich so schlecht schlafen. Das freut mich dann aber schon sehr. Ich nämlich auch nicht.

Er

Die Gewohnheit und die Routine einer langjährigen Ehe haben nicht nur Nachteile, wie es überzeugte Singles und Liebhaber des Dauerfeuers gerne kundtun. Wer die permanente Gemeinsamkeit positiv sieht, erkennt die Qualität des Miteinanders statt die Last des Nebeneinanders. Er freut sich über Zuverlässigkeit, die keine Nachlässigkeit ist. Oder über Entspannung, die nicht zur Bequemlichkeit verkommt.

Und dennoch vermag die Erinnerung an die Zeit, in der alles anfing, als es ein Verliebtsein war und noch lange keine Liebe, ein sentimentales Schmunzeln erzeugen.

Früher wäre mir die Herzkönigin wohl eher nicht in der Jogginghose entgegengeschlurft, um mir mitzuteilen, dass sie einen bösen Pickel hat. Früher hätte sie dem Reis zum Schnitzerl garantiert keine Heerscharen von Zucchini-Stückerln beigemengt. Früher hätte sie auf mein spontanes spitzbübisches Ansinnen, den abendlichen Sonnenuntergang in der Wiese liegend zu erleben, sicher nicht geraunt: "Kalt. Nass. Dreckig."

Küsschen

Ja, damals stand auf den Post-its am Badezimmerspiegel "Einen sonnigen Tag, süßer Tiger", heute lese ich "Michael, der Steuerausgleich macht sich nicht von alleine". Damals sahen wir stundenlang ins Kaminfeuer und erzählten einander aufgeregt unser Leben, heute sehen wir die ZiB und schweigen ermattet. Damals fand ich Ferrero-Küsschen unter dem Kopfpolster, heute finde ich überall gar nichts mehr, weil sie alles verräumt.

Nur die Socken im Bett, die trug sie von der ersten Stunde an. Denn so heiße Wangen konnte sie gar nicht haben, dass die Füße auch etwas davon abbekamen – das Eisbein als Konstante unserer Beziehung.

Und die will ich partout nicht missen. Ich will mitten in der Nacht in die Küche gehen, den Wasserkocher aktivieren, den Thermophor befüllen und ihr sagen: "Für dich, mein Schatz." Denn: Dann lächelt sie und mir wird warm.

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