Berlin bei Nacht

Berlin bei Nacht
Ausgelassen. Wenn er die Tanzfläche erobert, und sie nicht müde wird, darüber zu reden.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Ich dachte kurz, man hätte mir halluzinogene Substanzen ins Getränk gemischt.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Szenenwechsel, von Wien nach Berlin. Für all jene, die den letzten Text nicht gelesen haben: Darin erzählte ich, wie sehr sich der Mann nebenan vom Tanzbären der ersten Kennenlernstunde zum Disco-Ödian entwickelte. Der maximal an einem Drink nippt und mit der Großzehe wippt – und das seit 20 Jahren. "Ich mach mich nicht lächerlich", lautet sein Credo. Das er in Berlin aber rasch sausen ließ.

„Irgendwie anders“

Eine Freundin von uns hatte zur 55er-Party geladen, es gab Shots, Rotwein und Räucherstäbchen. Ich tanzte wie immer alleine. Als ich während David Bowies „Heroes“ die Augen öffnete, dachte ich kurz, man hätte mir halluzinogene Substanzen ins Getränk gemischt. Denn ich sah ihn, wie er auf der schummrigen Tanzfläche mit den Hüften kreiste und entrückt grinste. Das tat er, freilich, nicht alleine. Rund um ihn eine Schar Berlinerinnen, die den „Wiener“ total „süß“ fanden. Ich beobachtete also einen Effekt, den Forscher „Hahn-im-Korb“-High nennen. In dem befand sich der Mann nebenan offenbar gerade. Also tanzte er weiter, etwa zu „I will survive“ von Gloria Gaynor. Ein Song, den er normalerweise stets als flach, abgenudelt und unter seiner Würde einordnet, um dann stets zu sagen: "Es gibt nur eine Hymne für mich, nämlich ,Our House' von Madness.“ Doch hier, im Räucherstäbchen & Berlinerinnen Paradies schien alles anders. „Sowie man Berlin betritt, ist es mit Schick und Eleganz vorbei“, schrieb Fontane. Stimmt. Anderntags klagte er über „ungewöhnlichen Muskelkater“ an „ungewöhnlichen Stellen“. Mir wurst. Für Pillepalle fühle ich mich nicht zuständig.

Lesungen: 28. 11. Rabenhof, 7. & 8. 12. Klosterneuburg, Wilheringerhof

gabriele.kuhn@kurier.at

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Er

Möglicherweise gibt es einen Punkt (§ 63, Absatz 17) im Gesetzestext meiner Persönlichkeit, der lautet: Alle 15 Jahre ist es dem Nachtmenschen M., der auch ohne regelmäßige Inanspruchnahme unkoordinierter Zuckungen (im Volksmund: Tanz) über ein Höchstmaß an Zufriedenheit verfügt, gestattet, seinen Schatten zu überspringen und sich dem Rhythmus der Zügellosigkeit mehr oder weniger freiwillig zu unterwerfen. Genau das geschah unlängst in Berlin. Ich hätte diese Nacht der Bewusstseinsveränderung ja gerne mit dem ersten Hahnenschrei in der Schublade der ewigen Diskretion verräumt. Aber: Wo kein Hahn, dort kein Vergessen. Zumal meine Frau Zeugin des Vorfalls wurde und die wummernde Atmosphäre des Szeneklubs mit dem gebrüllten Stakkato „Das muss ich schreiben, muss ich schreiben, muss ich schrei- schrei- schreiben“ anreicherte.

Exzess

Dabei lag es nur an einem Satz, der mich zur Bewegung bewegte (nachdem ich – zugegeben – mit fröhlichen Berlinerinnen auf das ewige Leben angestoßen hatte). Und den sprach die Jubilarin, die als dauerwippende Animationskünstlerin über gnadenlosen Charme bzw. charmante Gnadenlosigkeit verfügt: „Ey, Schnuckel, Tanzverweigerung is' hier sowas von nüscht.“ Und schon offenbarte sich ein Paradebeispiel von „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Ich folgte der Idee, die der gelernte Österreicher „a scho wurscht“ nennt. Dieser travoltanische Exzess ist jetzt zwei Wochen her, aber die Liebste wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit den Wert meiner Ausgelassenheit zu preisen, stets versehen mit einem provokanten „Stimmt's Schnuckel?“ Dann grinst sie, und ich sage: „Jo eh. Aber sei dir sicher, so ein Gehüpfe gibt’s jetzt lange nüscht.“

Solo-Programm „Abend mit einem Mannsbild“: 12. 12. Wien (Studio Akzent)

michael.hufnagl@kurier.at

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