Paaradox: Appetit-Zügler

Paaradox: Laster-Fahndung
Ihre Kochkünste leiden unter dem Diktat des EM-Moments. Das ist nur die halbe Wahrheit in einer barbarischen Zeit.

Sie

Auch auf die Gefahr hin, als notorische Spielverderberin zu gelten: Es ist im Moment schwer. Ich sage das so unaufgeregt , wie ich es im Kurs "Mit Toleranz durch alle Schief­lagen" gelernt habe: Mir reicht’s von der EURO. Bevor mich die Fußball-Fans hassen: Es geht mir nicht um den Event, sondern um das, was er aus meinem Mann macht.

Es ist so: Auch ohne die Ballspiele ist es eine hochkomplexe Angelegenheit, für Herz-Ass zu kochen. Paradeiser erzeugen bei ihm akuten Brechreiz. Salat zaubert ihm einen Allergieschub auf das Gemüt. Die Portion Gemüse lässt ihn den Scheidungsanwalt konsultieren. Und trotzdem hat er immerzu Hunger. Hunger. Hunger. Heißt praktisch: Er kommt nach einem Arbeitstag heim und stürmt in der Sekunde die Küche. Alles Essbare wird in den Toaster geschmissen und sofort verzehrt. Dann trifft der leicht irre Blick meiner Hyäne die Feuerstelle: Und? Wann ist das Essen fertig? Ob dieses steten Dranges zum Futtertrog habe ich gelernt, zu planen, wurde Queen of Speed-Cooking. Im Umfeld gelte ich als Europameisterin des Ruckzuck-Zwiebelschneidens.

Die EURO bringt das alles durcheinander. Unlängst, als die Speed-Lasagne fertig war, fauchte er im Stakkato: Jetzt nicht. Italien gegen Kroatien. Essen erst in 45 Minuten. Eine Halbzeit später glich der Ziegel im Rohr einem schwarzen, tödlichen Wurfgeschoß. Also braute ich anderntags Slow-Food-Eiernockerl, um sie zu EM-tauglicher Zeit zu servieren. Ich war stolz. Blöde Idee, wie Schatz befand: Nockerln pronto, der Kick is öd.

Und egal, wann und was ich derzeit serviere: Ich muss mit seiner geteilten Aufmerksamkeit leben, die zwischen Fußball-Hunger und Fressgier oszilliert. Niemand sagt: Guten Appetit. Herrlich, Schatz, danke!

Er

Meine Frau bevorzugt als Stilmittel gerne die Märtyrer-Taktik. Auch diesmal – so arm, von König Fußball und dessen ergebenem Hofnarren zur Sklavin erklärt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn lediglich aus Platzgründen hat sie darauf verzichtet, die Auswüchse unseres EURO-Alltags zu schildern. Daher will ich das Bild ergänzen, damit mein barbarisches Dasein publik wird. Irgendwann muss es ja sein. Also will ich die zehn EM-Gebote, die ich dekretiert habe, nicht mehr länger verheimlichen.

1. Du sollst schweigen. Keine faden Büro-Storys, wenn Mehmet Scholl auf ARD gerade die Laufwege von Mario Gomez analysiert.

2. Du sollst dem wichtigsten Gesetz folgend kochen. Ein Match dauert 90 Minuten (Details dazu oben im Ich-tue-mir-so-leid-Text).

3. Du sollst dich mit aller Kraft den Sorgen unseres Kindes widmen. Ich kümmere mich ohnehin um die Modus-Tücken im Rahmen der Viertelfinal-Qualifikation.

4. Du sollst nicht fragen, ob ich noch etwas haben will (Bier, Sportgummi, Fußmassage), sondern meine Bedürfnisse antizipieren.

5. Du sollst mir Verpflichtungen (Termin mit Steuerberater, Grillen mit Verwandten) vom Leib halten.

6. Du sollst dich in ehelicher Solidarität gut sichtbar freuen, dass ich beim Fußballschauen so eine Freude habe.

7. Du sollst kleine Überraschungen parat haben. Auch, wenn Spanien spielt, registriere ich es durchaus, wenn du mir die Soletti in Dessous servierst.

8. Du sollst im Wohnzimmer Geräusche (telefonieren, Musik hören, Zeitung umblättern) vermeiden. Ausnahmen sind gestattet, müssen aber vor Anpfiff mit mir akkordiert werden.

9. Du sollst einen gelegentlichen Klaps auf den Hintern als Zeichen meiner Wertschätzung für dich beglückt zur Kenntnis nehmen.

10. Du sollst allen Menschen sagen, wie sehr du mich liebst.

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