Im Namen der Neurose

Im Namen der Neurose
Eigenheiten und Rituale sind das Salz in der Ehesuppe. Gut gewürzt mit einer feinen Prise Theatralik.

Sie

Ich finde ja, Rituale sind etwas Wunderbares. Sie geben uns Stabilität an Tagen, wo nichts zu klappen scheint. Wenn etwa ein Pickel am Hirn so groß wird, dass die teuerste Abdeckcreme nix hilft oder mir mein Bankberater Größenwahn vorwirft, dann ... Ja, dann lindere ich mein Tief mit einem Ritual. Ich esse ein Butterbrot, das ich in exakt gleich große Schnitten schneide und singe dazu. Wenn ein Stück größer ist als das andere, werde ich nervös. Wenn ich falsch singe, auch. Ich fühle mich zudem sicherer, wenn ich einen Thermophor in meinem Bett weiß. Rituale retten die Seele. Wien, Paris, New York – die Stimmung hält. Der Grat zwischen Ritual und Zwangshandlung ist schmal. Das weiß ich, seit ich Herzbuben das erste Mal beim Genuss eines Schokocroissants beobachtet habe. Ich dachte mir: komisch. Sehr komisch. Heute weiß ich: Es ist komisch. Es ist nämlich so, dass mein Mann knapp am Nervenzusammenbruch vorbeischrammt, wenn er nur an etwas, das picken könnte, denkt. Damit verknüpft ist sein Ritual – zumal Mr. Seltsam genau jene Dinge mag, die picken werden. Speziell Brote mit Nutella, Honig, Marmelade. Und Krapfen. Heißt: Er isst. Aber dann ... Dann schreit er Wäh, ist das grauslich. Die Handhaltung ließe vermuten, er hätte das Bubenklo einer Volksschule händisch von Verstopfung befreit. Schließlich verlangt er nach heißen Tüchern und einem Fass Arztseife, um sich die Hände zu waschen wie ein Herzchirurg vor seiner ersten Transplantation. Erst dann lächelt er und sagt: Mmh, so ein Nutellabrot – das schönste Ritual, seit es Schokolade gibt. Soll sein. Als er sich jedoch heute outriert die Griffeln schrubbte, weil ich meine Hände in Muffinteig tauchte, habe ich ein neues Bild von dem, was da noch kommen könnte. Ich glaub’ ja, ich brauch’ jetzt ein Butterbrot.

Er

Menschen haben Eigenheiten. Gut so. Das verleiht uns Individualität. Und die mag mitunter bemerkenswert sein. So gibt’s Leute, die glauben an Gott, an Horoskope, an den Weltuntergang oder an Bierdeckelsammlungen. Mir egal, ich verhöhne sie deshalb nicht, belächle sie nur im Stillen. Ich hingegen glaube an die Macht gewaschener Hände. Das ist mein Reinheitsgebot. Na und? Ich reiße mich lediglich nicht darum, aus Faschiertem Fleischlaberln zu formen, öffentliche Toilettentüren zu berühren oder Leute mit Schweißhänden zu begrüßen. Und wenn es doch dazu kommt, dann erfreue ich mich an Wasser und Seife . Aber höchstens 25-mal am Tag, man muss es ja auch nicht übertreiben. Umso mehr ärgert es mich, dass es leichter ist, unserem Hund das Miauen beizubringen, als sich ein Honigbrot zu schmieren, ohne danach klebrige Hände zu haben. Ein Pick-Tick, keine Frage. Aber der gereicht trotz allenfalls damit verbundener Theatralik niemandem zum Nachteil. Meine Frau indes ... ... ruft panisch nach mir, wenn ein Spinnlein mit Konfektionsgröße 1 (Zentimeter nämlich) friedlich den Raum erkundet; ... hat es gern, wenn das Licht mehrerer Stehlampen Behaglichkeit erzeugt, pilgert aber gleichzeitig als Energie-Missionarin umher, weil schon wieder ein funktionsloses Aufladegerät in der Steckdose verblieben ist („das verbraucht auch ganz schön viel Strom“); ... ist davon überzeugt, eine ganze Nacht lang kein Auge zutun zu können, wenn die Kastentür fünf Zentimeter davon entfernt ist, ganz geschlossen zu sein. Die Liste ließe sich beliebig verlängern, aber wohl niemals vervollständigen. Ich darf also getrost von meiner Spleen-Queen reden. So. Meine Tastatur hat jetzt genug Berührungen bekommen. Ich habe mir mein Händewaschen verdient.

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