Die vernetzte Welt schürt den Glauben, man zeige Zivilcourage, indem man jederzeit Laut gibt

von Birgit Braunrath

über das Trugbild, jeder könne mitreden und mitentscheiden

Schuldig oder unschuldig? Das TV-Publikum von "Terror - Ihr Urteil" hat entschieden. Oder glaubt, entschieden zu haben. Dabei entscheidet es ohnehin täglich: Tatort oder Spiderman? Tennis oder Formel 1? Ein- oder ausschalten?

Doch das Leben in der vernetzten Welt lässt im Einzelnen den Eindruck entstehen, er könne die wirklich essenziellen Dinge entscheiden. Nicht mehr nur Tee oder Kaffee am Morgen und Bier oder Wein am Abend, sondern die echten Kaliber: Wem gebührt heute der Shitstorm? Gehört Alaba ins defensive Mittelfeld? Sind die 1598 Seiten CETA-Abkommen gut oder böse? Ist Bob Dylan mehr oder weniger Literaturnobelpreis-würdig als Elfriede Jelinek?

Die vernetzte Welt erzeugt das Trugbild, man sitze mittels Postings und Tweets an den Schalthebeln der Macht, an einem Riesen-Megafon und werde gehört. Sie schürt den Glauben, man zeige Zivilcourage, indem man zu allem jederzeit Laut gibt. Doch Zivilcourage definiert sich übers Handeln, nicht über Empörung, Daumen rauf, Daumen runter.

Jeder einzelne hat den Handlungsspielraum, in seinem unmittelbaren Umfeld täglich echte Entscheidungen zu treffen und damit etwas zu verändern. Aber wer kommt denn noch dazu, wenn er ständig die scheinbar großen Dinge mitentscheiden muss?

Kommentare